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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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dabei, daß in der ersten Zeile eine Silbe fehlt, wenn man zu singen versucht:
    »Tyskland, Tyskland framför allt!«
    Da ich unbestritten der metrische Experte an diesem Frühstückstisch bin mit meinen sechs oder sieben Gedichtsammlungen im Rücken (mein Gott, ich habe sie wirklich noch nie gezählt), bittet man mich, eine Lösung zu finden. Das ist ganz einfach, sage ich. Statt »Tyskland« müßt ihr natürlich »plikten« I singen. Dann braucht ihr nicht zu einer Menge schwieriger historischer Fragen Stellung zu nehmen, braucht euch nicht einer Hetzkampagne gegen ein armes, harmloses afrikanisches Entwicklungsland wie Tansania schuldig zu machen, ihr spart euch wirklich wahnsinnig viel Ärger, wenn ihr euch über bestimmte Sachen gar nicht erst aufregt und euch statt dessen an etwas einigermaßen Abstraktes haltet.
    – Jetzt singen wir alle miteinander:
    »Plikten, plikten framför allt!«
    Und das tun wir dann auch, bis die Kinder entdecken, daß für sie der allerletzte Moment gekommen ist, noch den Bus zu erwischen, der sie zehn oder zwanzig Kilometer weit in die Stadtlandschaft hineinbringen wird, damit sie rechtzeitig zur ersten Stunde in die kleine schwedische Schule in der Landhausstraße kommen.
    Und wieder der Verbrannte auf seinem Weg. Neben ihm fand man, nach dem Polizeibericht, zwei Benzinkanister und ein abgebranntes Streichholz.
     
    MAN SCHAFFT ES NICHT MEHR, ES IN DIE SCHACHTEL ZURÜCKZUSTECKEN
     
    Es war ein warmer, klarer März. In diesem März hat es ganz wunderbare Tage gegeben. Ich erinnere mich zum Beispiel an diesen Nachmittag in der Mitte des Monats, als wir draußen in Grunewald bei Katrin und Arwed zu Besuch waren, in dem hübschen Pförtnerhäuschen eines Schlosses am Hundekehlensee, was da für ein sanfter, schöner Sonnenschein über der Stadt lag. Aber das ist eine andere Geschichte.
    Ein kreisförmiges Zimmer mit Fenstern in allen Himmelsrichtungen ist eigentlich die denkbar schönste Form für einen Raum. Das Licht verteilt sich so gleichmäßig.
    Jetzt herrscht schon seit drei Wochen Nieselregen. In der Dämmerung hängt der Kohlenrauch bläulich über den Straßen. Die Linden wollen nicht ausschlagen, sie stehen da mit ihren schweren, klebrigen Knospen und glotzen. Aber es fliegen Zugvögel über die Stadt. Heute habe ich in aller Frühe Wildgänse gesehen. Ich hoffe nur, daß sie nicht in die Luftkorridore geraten und von den Ansaugschächten einer Boeing 727 geschluckt werden. Dieser Turmfalke da schwebt so oft über dem englischen Soldatenfriedhof an der Heerstraße, daß ich mich fast frage, ob er nach etwas Bestimmtem Ausschau hält.
    Weiß der Teufel, was sie bloß mit dieser Gegend machen (ach ja, sie lassen sie verrosten, die landwirtschaftlichen Geräte stehen rostend draußen auf den Feldern, das machen sie damit), aber in meiner Kindheit war sie noch ganz schön.
    Woran ich mich am besten von allem erinnere, ist der Duft von Seen; von braunen, humushaltigen Seen. Seen, über die der Sommerwind streicht. Seen, wo im April die Zugvögel über den feingekräuselten Windbrunnen schreien.
     
    Nichts vermisse ich hier in Berlin so sehr wie solche Seen. Diese dunkelgrünen preußischen Mergelgräber von Seen mit ihrem dichten Buchenwald rings um die Ufer machen mir angst.
    Wenn ich am Schlachtensee oder am Nikolassee spazierengehe, im Schatten der hohen grünen Bäume, meine ich immer, ich würde gleich von den Hunden einer feudalen Jagdgesellschaft mit einem rotberockten Master im Gefolge eingeholt und von ebendiesen frischen, lebhaften Hunden zum Klang munterer Jagdhörner in Stücke gerissen werden.
    Preußische Seen riechen nach nichts.
    Im Plumpsklo in Ramnäs vermischte sich der Duft der humusreichen västmanländischen Seen, an deren Ufer kurze, lebhafte Wellen schlagen, mit dem Klogeruch und dem Geruch von frischem Kiefernholz.
    Da waren große Risse, viertelzollbreite Risse in der Wand, so daß der Seewind hereinblies. Die Sonne zeichnete ein tigerfarbenes Muster auf die Klobrille.
    Nach ländlichem Brauch war dieses Klohäuschen mit Bildern dekoriert, die aus der Zeitung ausgeschnitten waren, farbenprächtige Comics vom Anfang der vierziger Jahre, als das Haus gebaut worden war.
    Kronblom – die Karikatur des schwedischen Kleinbauern – sägt ein Loch ins Eis, ich kann mich nur noch daran erinnern, daß er da steht und ein Loch sägt. Ich glaube, ich habe mich als Kind nicht besonders für Kronblom interessiert. Es gab ihn überall in meiner Umgebung.
    Aber an

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