Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
der anderen Wand, genau da, wo das Tigermuster der Sonnenstrahlen die Kiefernbretter mit ihren Astlöchern sprenkelt, ein paar Ausschnitte aus dem Comic Flash Gordon. Man befindet sich auf einem ungeheuer gefährlichen Planeten, eingesperrt in etwas, das offenbar Kaiser Mings Privatlaboratorium ist. Flash Gordon, mit Handschuhen und Stulpenstiefeln, und dieses Mädchen, das er immer dabei hat, in ein Negligé gehüllt, das wahrscheinlich perfekt in die Suite eines New Yorker Luxushotels passen würde, aber weniger angebracht wirkt, wenn man in einen Glasbehälter eingeschlossen ist (die beiden Liebenden, eingeschlossen in einer Glasblase: Hieronymus Bosch: Der Garten der Lüste), in einem Laboratorium auf einem feindlichen Planeten.
Auf einer Art Thron sitzt der boshafte Kaiser Ming mit seinem langen schwarzen Bart und seinem schmalen Kopf (polnischer Aristokrat) und betrachtet das Paar.
Auf dem nächsten Feld (ein Feld muß wohl verlorengegangen sein, als die Serie Anfang der vierziger Jahre aufgehängt wurde) sind die beiden, das Mädchen in dem hübschen, geschlitzten blauen Negligé, das ihre schönen schlanken rassigen Beine bis zu den Hüften hinauf sehen läßt (sie ist eine richtige Dame), und Flash Gordon schon auf der Flucht aus diesem Raum. Eine gefährliche chemische Flüssigkeit hat sich über den Boden ergossen, Kaiser Ming (Sigismund?) hat sich halb von seinem Thron erhoben, er sieht ziemlich blaß aus. Der Fußboden brennt.
– Diana, schnell fort von hier, gleich steht das ganze Haus in Flammen!
Dieses Bild ist wirklich unerschöpflich. Muß ich noch betonen, daß Kaiser Ming eine Vaterfigur ist und daß eine ödipale Deutung der Situation sich wirklich fast von selbst versteht? Muß ich noch erklären, welche Bedeutung dieser rasch um sich greifende Brand hat?
Muß ich darauf hinweisen, daß dieser väterliche böse König, der die beiden in der Glasblase eingeschlossenen Liebenden bewacht, tatsächlich zu einer weitverbreiteten alchimistischen Szene gehört? Kaiser Ming ist der Alchimist, der zwei Homunculi, Adam und Eva, in seinem Kolben erzeugt hat. Das ist ein Zwischenschritt in dem Prozeß, der zum Stein der Weisen führen soll.
Und jetzt wird der Alptraum jedes Alchimisten Wirklichkeit: Sie brechen aus.
(Warum gibt kein Verleger den Mutus Liber in einer Volksausgabe heraus, es ist das einzig wirklich brauchbare Buch, wenn man sich selbst und seine Träume verstehen will.)
Dieser verdammte Sigismund, der mich schon seit sechs Wochen verfolgt, ist gefährlicher, wichtiger als ich dachte!
Dieses Bild, dieses wirklich bemerkenswerte Bild, das schon vor fünfzehn Jahren von diesem windumbrausten Klohäuschen im seenreichen, waldigen Västmanland abgeblättert sein muß, hätte sich mir nie wieder gezeigt, wenn es mir nicht passiert wäre, mal wieder in diesen Schlamassel mit der marxistischen Literaturkritik zu geraten.
Meine Ansicht über die marxistische Literaturkritik ist, daß sie gar nicht existiert. Es gibt nur Schulen, Richtungen, Häresien. Es gibt Lukács, der nicht mit Brecht übereinstimmt, Brecht, der nicht mit Mehring übereinstimmt, Mehring, der nicht mit...
Während der letzten Jahre meiner Zeit als Redakteur von Bonniers Litterära Magasin habe ich massenhaft marxistische Literaturkritik abgedruckt. Ich betrachtete es als heilige Pflicht, die trägen opportunistischen, schmeichlerischen Geister aufzurütteln, die seit einigen Jahrzehnten jedesmal in hysterisches Schluchzen ausbrechen, wenn ein neuer Poet sein kosmisches Herzeleid, seine Einsamkeit und sein Mitgefühl herausplärrt, indem ich etwas veröffentlichte, das sich ausnahmsweise mit der Literatur beschäftigt, als habe sie etwas mit dem Leben, mit unserem eigenen Leben zu tun.
Das führte zu ein paar fürchterlichen Angriffen in der Provinzpresse und zu einigen ungewöhnlich gemeinen Versuchen, die Herausgabe unserer Zeitschrift zu stoppen: Kurz gesagt, nichts Gravierendes, aber hier sitze ich immer noch, mehrere Frühjahre danach, und zerbreche mir den Kopf darüber, ob nicht vielleicht doch mit ein paar veränderten Prämissen...
Es wäre eine so ungeheure Erleichterung, wenn man die Kunstwerke, ihre geheimnisvolle, satanische Anziehungskraft auf eine ganz natürliche, gesunde, rationale Art erklären könnte, als endgültiges Ergebnis der Produktionsverhältnisse einer Zeit.
Ich schlage mich seit Jahren mit diesem Problern herum und bekomme hin und wieder einen neuen Impuls.
Zur Zeit ist es Walter
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