Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
Vom Netzwerk:
begraben.
    – Verzeihung, jetzt kann ich Ihnen nicht ganz folgen, sagte der Hauptgefreite.
     
    Er war schon sehr undeutlich, da ich seit einigen Minuten fest entschlossen war, ihn und sein altes Zentralsonnensystem aus der Erzählung zu streichen. Das letzte, was ich sah, war sein Ausdruck von äußerst sanftem Erstaunen, als er begriff, daß er eigentlich nur in der Vorstellungswelt eines Geschöpfs mit einem Sauerstoff-Kohlendioxydzyklus existierte. Mit ihm verschwand eine glanzvolle galaktische Zentralkultur, Städte, Erinnerungen, uralte Bilder...

Das Lebende vom Toten trennen
     
    Winter und Frühjahr jagen immer schneller über die Seen. Die Wolken ziehen niedrig dahin und sehr schnell. So niedrig, daß man sie fast erreichen könnte, wenn man sich strecken würde.
    Mein Leben ist ein getarntes Bauernleben, ein Landleben. Ich schleppe es mit, tief in die Millionenstädte hinein.
    Ich habe die Industrialisierung nie ganz ernst genommen. Und auch den Kapitalismus nicht.
    Es sind unangenehme Phänomene. Sie werden meine Zeit überdauern. Und auch die meiner Kinder. Aber sie werden vorübergehen. Daran habe ich nie eine Sekunde gezweifelt. Das habe ich gewußt, seit ich sieben Jahre alt war. Die Landschaft wird sich von alledem genauso befreien, wie sich das Knie eines Jungen vom Schorf befreit.
    Ein Habicht, der über einem tiefliegenden Moor mit vergilbtem Schilf dahinschwebt, ist wirklicher als ein Großflughafen.
    Hin und wieder treffe ich auf Menschen, die es bedauern, daß der Vorrat an fossilen Brennstoffen auf der Erde einmal erschöpft sein wird. Ich bedaure das keinen Augenblick lang. Ich finde es natürlich. Es ist etwas lästig, genau wie die Zeit, in der wir leben. Aber er wird sich erschöpfen, und das ist ganz natürlich.
    Die Wahrheit über die Welt sind nicht die Bombergeschwader über Dresden und Hanoi. Die Wahrheit über die Welt sind nicht die Wolkenkratzer von Manhattan, nicht diese Dunstschwaden, die frühmorgens in der Fifth Avenue aus den Luftschächten der U-Bahn steigen. Die Wahrheit über die Welt ist ein Habicht, der über einem weiten Moor dahinschwebt.
     
    Es ist gut, solche Wahrheiten zu kennen. Das macht einen geduldig. Man ist gefeit gegen Hieb und Stich. Gefeit sogar gegen die Aphasie, die Sprachvergiftung, die dazu führt, daß man kaum noch sprechen kann, nur noch lallen, in kurzen, wirren Sätzen, wie ein Betrunkener, der sich an eine Hauswand lehnt.
    Durchlaufgeschwindigkeit
    Kulturelles Angebot
    Raumordnungspolitik
    Wilder Streik
    Verbraucherinteresse
    (Ihr habt was gegen meine Art zu reden? Es paßt euch nicht, daß ich so viel von mir selbst spreche? Ihr mißbilligt meinen Wirklichkeitsanspruch? Nun gut, das ist es, was man euch statt dessen anbietet. Dies sei kein richtiger Roman, sagt ihr? Was verlangt ihr denn von einem Besoffenen, der gerade eine ganze Flasche Alltagsprosa ausgekotzt hat und nun schwitzend und fröstelnd zugleich die Stirn an eine rauhe Hauswand lehnt und zu den Wörtern zurückzufinden versucht?)
    Die Malerin Laura G. ist gestern hiergewesen. Sie brauchte fast eine Stunde, um herzukommen, mit der U-Bahn und dem Bus. Sie wohnt ganz oben in einem Slumhaus in Kreuzberg, einem Gebäude, das in diesem Jahrhundert nicht mehr renoviert worden ist, im dritten Hinterhaus von der Straße aus gerechnet, man geht wie durch chinesische Schachteln, wenn man sie besuchen will. Höfe mit dünnem Gras, in denen sehr deutliche Schilder auf deutsch und türkisch verkünden, daß es den Kindern verboten ist, hier zu spielen. Es ist ein sonderbar stiller Slum, ganz mohammedanisch. Schweigende Frauen mit schwarzen Schleiern über dem Kopf gehen die Treppen hinauf und hinunter. Nie hört man Kindergeschrei, es gibt keinen einzigen Betrunkenen im Haus, Männer mit großen schwarzen Schnurrbärten schleichen lautlos in Filzpantoffeln durchs Treppenhaus. Hierhin, ins dritte Hinterhaus, kommt nicht viel Sonne, vor allem nicht an einem Wintertag.
    Die Klos bilden eine unbeschreibliche Reihe am Ende jedes Korridors. Jedes Klo hat eine braune Tür, einen eigenen Schlüssel, ein hölzernes Gitterwerk ganz oben in der Türfüllung.
    Laura G.’s Wohnung besteht aus einem schmalen Flur, in dem mehrere Besucher nicht gleichzeitig die Mäntel anziehen können, einem sehr kleinen Zimmer und einer Küche. Das Küchenfenster ist etwa einen halben mal einen halben Meter groß.
    An einem Wintertag hat sie kaum länger als eine Stunde volles Tageslicht.
    Diese Küche ist ihr Atelier. Dort

Weitere Kostenlose Bücher