Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
Redende«. Und nichts anderes, nichts Geheimnisvolles, Unverwechselbares, keine Substanz und auch kein Klumpen aus Metall verbirgt sich hinter den Worten. Darum nennst du dich »ich« mit dem gleichen Recht, wie »ich« mich »ich« nenne, und das ist der Grund für das »ich«, das mit einer solch ungestümen Beharrlichkeit meine düstere Erzählung durchdringt; ich weiß, daß es auch dir gilt, du weißt, daß es auch dir gilt und daß die Schmach nicht nur mir allein zukommt. Wir wollen es im Gedächtnis behalten und so tun, als ob es uns nichts mehr anginge. Wir erwähnen es nicht mehr.
Das tüchtige Reden . Das tüchtige Reden beginnt plötzlich, irgendwann im Alter von vierzehn oder fünfzehn Jahren.
Das tüchtige Reden erfolgt mit einer klaren, nicht mehr unsicheren, etwas sonoren Stimme, das tüchtige Reden bringt man zuerst stehend an seinem Platz vor, ohne sich auf den Pultdeckel zu stüt-zen.
(An der Wand Schatten von den Zweigen einer riesigen Ulme.)
Es ist ein seltsames Abenteuer, für den Dümmsten in der Klasse gehalten zu werden und plötzlich der einzige zu sein, der sich auf die Satzanalyse versteht. Appositionen, Attribute, adverbiale Bestimmung, Subjektergänzung des Prädikats und die Objektergänzung, die noch viel raffinierter ist, Adverbialkonstruktionen, Subjektregel – es gibt nichts, was mit der Maschinerie des Redens zu tun hat, das ich nicht sofort verstehe. Und der schrecklichen Satzlehre
(kleines graues Buch, sehr mitgenommen davon, im Riemen herumgetragen und über die Schulter geworfen zu werden)
werde ich zuerst ebenbürtig und werde später stärker als sie, und dieses ganze, plötzliche, egozentrische Interesse für die Maschinerie des Redens beginnt im gleichen Frühling wie die richtige Pubertät, so daß Grammatik und Pubertät zusammenfallen (das eigentümlich gesteifte Glied, das schließlich zu reden beginnt),
und mit dem tüchtigen Reden beginnt eine gefährliche, eine gewaltsame Zeit.
Rede in den Seminaren der fünfziger Jahre, und der Professor nickt, zehn fünfzehn zwanzig verworrene und unwissende Jünglinge, die in den Begriffen der Wissenschaft und der Grammatik zu reden lernen, und die zu denken meinen, wenn sie nur reden und die Terminologie in neuen Mustern auf den Tisch legen, in immer neuen,
(ohne eigentlich über die Terminologie hinauszukommen)
Rede in den literarischen Vereinen der sechziger Jahre, und ich weiß, daß meine Stimme steigt und fällt, so daß man ihr schwer folgen kann, und in dieser Zeit am Anfang der sechziger Jahre werde ich mehr und mehr zum Greis, ich schiebe jetzt die Schultern vor und gehe mit einem hartnäckig schaukelnden Gang, und wir reden miteinander
(ohne eigentlich über die Terminologie hinauszukommen)
und ich bin bereit, unser Recht auf das Reden zu verteidigen, unser Recht, die Worte zu drehen und zu wenden, wider den weltweiten, abgründigen Chor von hohnlachenden Wasserspeiern mit seinen kleinen Dämonen, die sich winden und glucksen vor Lachen, unser Recht, zu denken und zu reden, wider die grinsende Verachtung, die dumpfe Stille, das höhnisch lächelnde Mißtrauen, die heimliche Übereinkunft .
(Ich erinnere mich, wie ich 1956 während eines Militärmanövers mit einem jungen Fähnrich auf einem nächtlichen Gang durch das Hågatal unterwegs war und wie ich ihm die ganze Zeit über Leibniz’ Philosophie erläuterte und wie hartnäckig er in der Dunkelheit schwieg, bis er mir schließlich zu schweigen befahl .)
Denn wo es die Möglichkeit zu intellektuellem Leben gibt, da gibt es auch den Anfang einer Veränderung, und das erinnert sie allzusehr daran, daß es so ist.
Das Reden : ich erinnere mich an meine Prosatexte, wie sie sich öffneten und zusammenballten gleich menschlichen Händen und wie sie sich unter einem seltsamen Mangel an Liebe schließlich wie im Krampf zusammenballten.
(Sommer auf Gotland 1965: die ganze Insel kreideweiß und erschreckend und bedrohlich, und ganze Nachmittage an der Schreibmaschine, ohne daß auch nur ein Wort geschrieben wurde, kein einziges Wort , und die Fliegen, die im Zimmer umhersummten, und in meinem Gedächtnis steht noch heute das ganze Zimmer still und ist eine einzige, eine schreckliche, eine ungeschriebene Prosa,)
und wo das Reden aufhört, da beginnt eine schreckliche, eine kristallische Welt, eine verlockende Stille, und das Gefährliche lockt mit seinen Verheißungen von Stille, vom Frieden des Todes, und die im Eis Festgefrorenen, deren Atem aussieht
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