Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
wie viele kleine Rauchfahnen, und die eingefrorenen Aalraupen, und die blutunterlaufenen Augen der Tiere, und ein Eisreich ohne Wiederkehr und ohne Ende, und laß dich nie mehr davon verlocken,
denn schließlich ist einzig und allein das Reden wichtig, mit lauter oder leiser Stimme, klar oder verworren, aber reden, wenn man auch nur im Dunkeln flüstert, ein Flüstern zwischen Mündern und Ohren in dem stillen nächtlichen Zimmer (und nur ein einziger Vogel zwitschert draußen und sagt, daß der Morgen naht) denn nur im Reden ist es, nur dort, und eine Art Liebe, die es möglich macht, die geballte, die krampfhaft geschlossene Hand wieder zu öffnen, und eine Art Hoffnung (und die Nacht endlich zu Ende)
und nur im Reden ist Mütterlichkeit, Wärme und Wiege.
Die Krocketspieler im grünen Gras
Es kann schwierig sein, auf dem Fahrrad zu fahren und zugleich eine Unterhaltung zu führen: fährt man bergab, gehen Argumente verloren.
Und in den Steigungen ist man so außer Atem, wenn man einander schließlich eingeholt hat, daß man die Sache nicht mehr deutlich genug ausdrücken kann, um sich verständlich zu machen.
Sören Nordentoft, ein magerer, dunkler und ernsthafter dänischer Theologe, dem immerzu die Haare in die Stirn fielen, hatte außerdem ernstliche Schwierigkeiten mit seinem Fahrrad. Dann und wann sprang die Kette ab, und wir hielten an, um sie gemeinsam zu reparieren.
Mächtige Weiden neigten sich über das Wasser, die gewaltigen Eichen gaben uns Schatten, die Weiden tauchten ihre Blätter in den Strom, von weitem hörte man das Geräusch der sorgfältig instand gehaltenen, liebevoll gepflegten Schleusen mit den weiß und rot bemalten Schleusenschlüsseln. Schmucke Rettungsringe hingen an den Einfassungen des Beckens.
Nordentofts lange schmale Finger hantierten ernsthaft aber erfolglos an der Fahrradkette, er wischte das Öl am grünen Gras ab.
Und ich, der ich noch nicht entdeckt hatte, daß Dänemark die kultivierteste und reifste Nation Europas ist, ich traute mir nicht einmal zu, den fünischen Dialekt zu verstehen, den er sprach, und der so sanft und langsam war, daß ich mir nie darüber klarwerden konnte, wann er wirklich deprimiert war und wann er einfach nur so sprach.
Darum unterhielten wir uns miteinander in einem Englisch, das die Sportfischer an der Uferböschung mit ihren weißen Strohhüten, die echte Engländer waren und ihr ganzes Leben in Oxfordshire zwischen grünen Hügeln oder in eichengetäfelten Senior Common Rooms in dem mit gotischen Turmspitzen geschmückten Oxford zugebracht hatten, sich schaudernd nach uns umsehen ließ.
Dieser erste Sonntag im Juni 1951, tief in den fünfziger Jahren, umgab uns und flößte uns nicht mehr Angst ein, als wir selbst zustande brachten. Wir lebten wie in Glasflaschen eingeschlossen in der Geschichte (Homunculi im Kolben des Alchimisten) und wußten kaum, daß wir geschichtliche Erscheinungen waren.
Am siebzehnten Mai dieses Jahres war ich einundzwanzig Jahre alt geworden, Sören Nordentoft, der irgendwo in der Nähe des Bahnhofs in einem mit Büchern und gewaltigen Manuskripten über Heidegger vollgestopften Mansardenzimmer wohnte und das Fahrrad bei seinen Wirtsleuten in dem kleinen Verschlag neben der Küche abstellte, war vierundzwanzig Jahre alt.
Wir waren sozusagen die einzigen Freunde, die wir hatten, und lernten uns durch einen Zufall kennen: in dem großen, runden, mittelalterlichen Raum, der von einem Petroleumofen mit glühend rotem Eisengitter spärlich beheizt wurde und zu jener Zeit Gilbert Ryles Arbeitszimmer im Magdalene College war.
Der Philosoph, der damals, 1957, noch umgeben war von dem Glanz seines Buches »The Concept of Mind« (eines Buches im Geist der fünfziger Jahre, das aufzeigen wollte, daß es nichts Psychisches gäbe, sondern daß vielmehr alles, was wir Bewußtsein nennen, nichts anderes sei als ein Reden, ein Reden, das aus physiologischen Antworten auf äußere Impulse bestehe; damals, 1957, eine vielgelesene und bewunderte Arbeit) saß in seinem Ledersessel und rauchte seine lange, gerade Pfeife. Wenn er sie ab und zu aus dem Mund nahm, konnte man gleich viel besser verstehen, was er zu sagen hatte.
Nordentoft kam aus Leiden: er war Existentialist. Ich kam von der Königl. Universität in Uppsala: ich war logischer Empirist.
Ryle behandelte uns mit onkelhaftem Wohlwollen, ich glaube, er war bemüht, uns bleiche und introvertierte Jünglinge zu bezaubern, er war bemüht, uns zu Freunden zu
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