Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
Last zu den großen militärischen Luftstützpunkten irgendwo außerhalb von Oxford zurückkehrten. Zwischen Frühstück und Nachmittagstee hatten sie bereits ganze Kontinente überflogen, grüne Hügel, Polareis, schneebedeckte Berge, und als sie bei Sonnenuntergang landeten, hoben anderswo wieder andere ab.
In meinem Zimmer in Magdalene College, ganz oben unter dem mittelalterlichen Dach, lagen auf dem kleinen Tisch die Bücher in säuberlicher Ordnung, das Schreibpapier und die großen Notizblöcke, und an der Wand die Karikatur von Bertrand Russell, aus »Punch« ausgeschnitten.
Es war ein warmer und feuchter Sommer.
Auf einem Giebel, nur fünfzig Meter von mir entfernt, ruhte ein gewaltiger Wasserspeier, eines dieser Kalksteingeschöpfe, halb Vogel und halb Dämon, mit denen die gotischen Baumeister jedes ernste Gebäude zu schmücken liebten, sei es, um die wirklichen Dämonen fernzuhalten, oder um sie aus dem Haus zu haben. Er war nur einer in einer Reihe von dreißig anderen, aber der einzige, der von meinem Fenster aus zu sehen war.
Diese ganze spröde gotische Stadt, mit all ihren Türmen und Kirchturmspitzen, war von diesen Kalksteindämonen beherrscht, die in den Nächten wirklich ins Mondlicht hinauszulachen schienen.
Man sagt sich gern, daß diese Gebäude aus einer Zeit stammen, in der fast alles Angst ist, und vergißt dabei die Kondensstreifen am Sommerhimmel unserer eigenen Zeit.
Nachts hatte ich manchmal das Gefühl, daß dieser Steindämon anfangen könnte, vorsichtig seine festgefrorenen Steinflügel zu bewegen – regte er sich nicht eben im Mondschein – und daß er in einem einzigen langen Gleitflug zu mir herunterfegen und zum offenen Fenster hereinkommen und auf mich herabstoßen würde . Und in gewissen Nächten war das eine ganz reale, eine handgreifliche Möglichkeit.
(Während ich an diesem Punkt meiner Erzählung angekommen bin, befinde ich mich in einem altertümlichen, weißgekalkten Turm hoch oben an einem Hang in einem Dorf im Herzogtum Novara. Es ist Ende Februar, die Erde dampft von Regen und früher Wärme, die Vögel zwitschern, milde blaue Luft bedeckt das Flußtal unter mir. In der Ferne sehe ich durch das Fenster die weißen Gipfel der Alpenmauer, die mich vor Nordeuropa schützt, sehe die Schneestürme dort oben in den Pässen kommen und gehen. Überall bellen kleine Hunde, die Weinstöcke werden beschnitten und nach dem Winter an frischen, weißlichen Holzpfählen befestigt. Um mich her helles Tageslicht, Freiheit, Ruhe; Februar 1970. Aber als ich diese drei alten Reisehandbücher über Oxford auf meinem Tisch in dem größten Zimmer des Turms ausbreite und Stadtpläne und Fotografien von Gebäuden betrachte – das ist für mich fast die einzige Art, die rätselhaften Widerstände, die Blockierungen des Gedächtnisses zu überwinden, die mich vom Jahre 1957 trennen – da spüre ich den Schauer einer alten Angst.
Und erst jetzt, nicht 1957, sondern jetzt, 1970, in einem Turm in Novara, begreife ich, daß es Angst war. Plötzlich ist mir all das als Angst in Erinnerung.)
Ich erinnere mich nicht, wie weit wir auf unserer Radtour kamen oder ob ich sie mit all den anderen verwechsele, die immer weiter flußaufwärts führten, aber ich erinnere mich an ein Krocketspiel später im gleichen Sommer, in einem Garten auf dem grünen Gras. Sonnenstühle, Krocketbögen im ganzen Garten verteilt, das sehr trockene Geräusch der Schläger, die die Kugeln anstoßen, mein vorsichtiger Versuch, mich von auf die Untertasse geschwapptem Tee zu befreien, indem ich rasch die ganze Untertasse über einem Busch ausschwenke (das tut man natürlich nicht), und Nordentoft in weißen Hosen, die er für elegant hält.
Mrs. Harriet Spencer, eine magere, drahtige, sonnengebräunte Dame in den Mittdreißigern, hatte uns auf ich weiß nicht was für Wegen und durch welche Verbindungen kennengelernt: doch, es war irgend etwas mit einem armenischen Mädchen, das ich fast vergessen hätte, sie hieß Tamara mit Vornamen (ungeheuer langes kohlschwarzes Haar und kohlschwarze Augen), und Nordentoft hatte ihre Bekanntschaft gemacht, als ihr Reitpferd auf der großen Promenade in Christ Church Meadow unruhig wurde (während die Hühner im Nachbarhof gackern und die Hunde ganz aufgeregt in der Dunkelheit bellen, weil ein Fuchs sich in einen der Weingärten geschlichen hat, suche ich in den alten Reisehandbüchern nach Christ Church Meadow. In Christopher Hobhouses Oxford finde ich ein Bild von der
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