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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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breiten Promenade unter hohen Bäumen, bequeme Bänke sind an dem Kiesweg entlang aufgestellt, und mit einem leisen Schauer von Unruhe oder Unbehagen erkenne ich auf der Fotografie den leichten, silbergrauen Dunst wieder, der ganze Sommertage lang über diesen Wiesen hängen konnte, aber nichts auf diesem Bild sagt mir, daß es wirklich erlaubt ist, in Christ Church Meadow zu reiten, und vielleicht ist die ganze Geschichte schon von Anfang an erlogen.
    Möglicherweise würde einer von den englischen Alpinisten, denen ich hier in Novara manchmal auf den Bergpfaden oben begegne, mir diese Frage beantworten können, und wenn ich das nächste Mal einen treffe, werde ich ihn unverzüglich fragen; es gibt den Typ des Engländers, der sofort antworten würde, klar und korrekt, um dann seinen Weg fortzusetzen, und obwohl ich glaube, daß ich mittlerweile die zugrundeliegende Mentalität durchschauen kann, hätte ich trotzdem noch große Lust, dieses Experiment zu machen), und sie muß es gewesen sein, die uns bei dieser Mrs. Spencer einführte.
    (Dies ist eine von den Geschichten, bei denen man ununterbrochen nach Ausflüchten sucht, um sie nicht erzählen zu brauchen.)
    Eine magere, drahtige Dame, die damals nicht älter war, als ich es heute bin, die wir aber natürlich automatisch als »älter« betrachteten. Sie hatte ein ansteckendes Lachen und einen ungezwungenen, freundlichen Plauderton, sie war geschieden oder Witwe, und so eine Art Pensionsgast wohnte im Haus, ein mageres, bleiches und äußerst wortkarges Mädchen aus Bourges in Frankreich, das sich zur Teezeit selten blicken ließ, und im übrigen auch zu keiner anderen Zeit.
    (Sie verabscheute uns, seit Nordentoft einmal höflich gefragt hatte, ob die Wörter »Bourges« und »bourgeoisie« etwas miteinander zu tun hätten, und das haben sie natürlich.)
    An den Sonntagen, bei schönem Wetter, endeten unsere Radtouren nicht selten in diesem Garten, und wir saßen im Gras und hörten dem Gespräch zu und sprachen uns gegen Mr. Edens Eingreifen im Suezkrieg aus, durch das Englands Stellung als Kolonialmacht ein für allemal ein Ende gefunden hatte.
    Und da taucht ein weißhaariger, etwas exzentrischer Onkel auf, der einmal ein Kinderbuch geschrieben hatte und sich deshalb Schriftsteller nannte, und der manchmal von einem Professor Tolkien sprach, der in dieser Gegend wohnte und ein paar bemerkenswerte Märchen geschrieben hatte, die wir natürlich nicht gelesen hatten, möglicherweise, weil sie bisher nur im Manuskript existierten. Wir sahen ihn sogar zuweilen vorbeigehen, mit einem scharfgeschnittenen, schweren Profil und dunklen, zerstreuten Augen.
    Mrs. Spencer, ich muß auf sie zurückkommen. Ihr Profil ist mir als ziemlich klein, »scharf« in Erinnerung. Ihre Bewegungen waren anmutig, entspannt. Sie hatte keine große Autorität, nicht einmal eine sonderlich bedeutende Intelligenz, aber sie behandelte uns als selbstverständliche Erscheinungen, und das war genug, um uns in ihrer Nähe so etwas wie Erleichterung, Ruhe, ja sogar Sicherheit empfinden zu lassen, oder vielleicht sollte ich für mich sprechen: ich empfand es so.
    (Ist jener Sommer wirklich einmal ein Teil meiner Erfahrung gewesen? Wenn ich im Jahr 1970 über mich selbst rede, fühle ich mich ganz in meine Erzählung eingeschlossen, wenn ich über mich selbst rede, wie ich 1939 war, bin ich auch ganz und gar in meinem Leben drin, aber an dieser Stelle finde ich mich plötzlich wie eine Art Archivar oder Archäologe mühsam in ein paar fortgeworfenen kleinen Scherben, Splittern, Fragmenten herumstochern, die nach einer Explosion im Gedächtnis zurückgeblieben sind. Diese Explosion muß so heftig gewesen sien, daß sie kaum etwas von dem ursprünglichen Erlebnis übriggelassen hat.)
    Und ich kann mich zum Beispiel nicht im geringsten an irgendeines unserer Gesprächsthemen erinnern, obwohl wir offenbar stundenlang miteinander geredet haben müssen.
    Wie furchtbar verworren und introvertiert ich zu jener Zeit gewesen sein muß, kann ich mir nur vergegenwärtigen, indem ich mich zu fragen versuche, welchen Standpunkt ich zu den Ereignissen dieser Zeit eingenommen habe: und ich erinnere mich nur an jene Kondensstreifen der Atomwaffenträger über dem grünen Gras und wie sie mich erschreckten.
    Man hörte Stimmen, Stimmen und Lachen aus den Gärten, Autos auf den größeren Hauptstraßen, Geschirrklappern aus irgendeiner Küche, deren Tür offenstand, die Stimmen unten vom Fluß, wo Sonntag war und wo

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