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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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es von Booten wimmelte, die Geschichte war überall um mich herum, alles veränderte sich von Tag zu Tag, es war mitten in den fünfziger Jahren, und ich, ich war so bewußtlos in mich selbst eingeschlossen wie ein Homunculus in seine Flasche, auf den zurückzukommen die Erzählung mich immer wieder zwingt.
    Bei den Philosophen gehörte es zum guten Ton, sich nicht für die Welt zu interessieren, die im Vergleich mit der Philosophie als unwesentlich angesehen wurde, und wenn ich mich in der Erinnerung umsehe, finde ich einen Haufen Neurotiker, bleiche, angespannte, in sich gekehrte Seminarstars vom gleichen Typ wie ich selbst, in Uppsala, in Oxford. Ihr nervöses, angespanntes Mitschreiben in den Vorlesungen, ihr Unvermögen, außerhalb des bizarren kleinen Zauberkreises, den sie um sich gezogen hatten, auch nur ein vernünftiges Wort zu wechseln, und gar nicht selten ihre offene Unfreundlichkeit, ihr kühler Hochmut.
    Genauso muß ich ausgesehen, genau diesen Eindruck muß ich gemacht haben, und je länger ich in meiner Erinnerung suche, desto weniger finde ich an persönlicher Eigenart, Neurose oder Verrücktheit und desto mehr an Milieu und sozialem System.
    Und ich erinnere mich an immer mehr solche Seminare, mit immer mehr solchen bleichen Gesichtern mit der gleichen Weigerung, ein persönliches Wort zu wechseln, die gleichen angespannten, nervösen Gesichter, die gleiche verzweifelte Kälte, die gleiche Sehnsucht nach einer mütterlichen Kraft, um sich von ihr tragen zu lassen, und die gleiche Glasflasche überall – je länger ich hinsehe, desto mehr Gesichter von 1957 erkenne ich, die meinem eigenen gleichen.
    Das war nicht unbeabsichtigt. Das lag nicht an den Lebensumständen.
    Dies war das Gefängnis, in dem die Intellektuellen der fünfziger Jahre eingesperrt waren.
    Nein, ihr braucht mich nicht daran zu erinnern, daß zur gleichen Zeit andere in anderen Gefängnissen eingesperrt waren.
     
    Mrs. Spencer bezeigte mir, wie ich schon erzählte, ein wohlwollendes, ein nachsichtiges Interesse. Ich fand das unbegreiflich, da ich es zu jener Zeit überhaupt unbegreiflich fand, daß ich auf irgendeinen Menschen einen Einfluß haben könnte, wenn nicht durch meine Argumente.
    (Und sie interessierte sich natürlich nicht für die Frage, ob die Welt eine begriffliche oder eine physische Existenz habe.)
    Und natürlich fühlte ich mich geschmeichelt.
    Und in Wirklichkeit war es natürlich so, daß sie mich besser und deutlicher sah als ich mich selbst.
    Ich habe von der Angst erzählt, die dort überall zugegen war. Jetzt nahm sie rasch Gestalt an.
    Es fing so an:
    Auf einem Spaziergang fragt mich Mrs. Spencer, ob ich die kleinen Kreidestriche bemerkt habe, die die Straßenarbeiter an verschiedenen Stellen am Trottoir entlang gemacht hatten, zur Vorbereitung für das Aufreißen irgendeiner Rohrleitung in der Straße. Ich habe sie bemerkt.
    Es sind Pfeile, Kreise, Ziffern.
    Ich finde die Frage lustig, aber auch ein wenig seltsam, sie pflegt nicht auf die Art zu scherzen. Wir gehen weiter und reden von etwas anderem.
    Als ich sie das nächste Mal besuche (ich weiß nicht mehr, ob ich allein kam oder ob Nordentoft dabei war), fragt sie mich, ob ich nicht manchmal die Angst gespürt habe, die in ihrem Haus ist.
    (Bisher erschien sie wirklich als die sicherste, die unproblematischste Person, die man sich nur vorstellen kann, jemand, der auch anderen Sicherheit einflößt durch sein entspanntes, sorgloses Verhältnis zur Außenwelt.)
    Ich antworte: nein, überhaupt nicht, und sie sagt, daß es dort auch nichts gibt, wovor man sich fürchten müßte. Ich antworte, daß ich das wirklich hoffe, und sie sitzt eine Weile stumm da und sagt dann, daß sie manchmal eine entsetzliche Bedrohung zu spüren meint.
    Ich weiß nicht mehr, worauf ich das Gespräch bringe, aber ich bringe es auf ein anderes Thema, schiebe die Sache beiseite.
    Schon ein paar Tage danach komme ich wieder, verwirrt und beunruhigt. Sie ist im Garten damit beschäftigt, ein paar Blumen zu schneiden, sie empfängt mich freundlich wie immer, und erst als ich sehe, wie sie sich ein Glas Wasser eingießt, und ihre Hand dabei zittern sehe, begreife ich, daß sie sehr große Angst hat.
    Ich lasse mir nichts anmerken. Ich tue, zu meiner Schande, nichts, um mehr zu erfahren, ich frage sie nicht, ich erkläre mich nicht bereit, ihr zuzuhören, sondern gehe heim, mit einem wachsenden Gefühl der Unruhe.
    Diese Erzählung ist nun zum Ende gelangt. Ich werde nicht der

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