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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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Stadtkerne fielen in einer Wolke von Staub und Rauch zusammen, Uppsalas Markt bekam ein Kaufhaus, das aussah, als wäre seine Fassade aus spitzenbesetzten Damenunterhosen gemacht.
    Gott wurde geleugnet, die Ehe wurde geleugnet, die Ideologien wurden geleugnet; aber bedeutsamer noch war, daß man die Geschichte leugnete.
    Sie war 1945 in Angst und Schrecken zu Ende gegangen. Es gab den kalten Krieg, es gab die Forderung nach einer schwedischen Atombombe, es gab Vorschläge für ein neues Strafgesetz, aber die Geschichte, die gab es nicht.
     
    Es war eine seltsame Zeit, als in den Zeitungen die Leitartikel mit dem Feuilleton übereinstimmten. Die Poesie blühte. Die literarischen Zeitschriften handelten von Literatur und die Romane vom Leben. Die Stearinkerzen brannten.
    Die Intellektuellen dieser Periode pendelten atemlos zwischen Metaphysik und Anpassung hin und her, ungefähr so, wie die Funktionäre und Juristen und die neuen Leitartikelschreiber mit dem Personenzug zwischen Stockholm und Uppsala hin- und herpendelten.
    In dieser neuen, harmonischen Gesellschaft mit blauen und rosa Mietshäusern und einer ständig steigenden Zuwachsrate war es leicht, Karriere zu machen. Reihenhäuser, die eleganten Reihenhäuser für Ärzte und Anwälte schossen empor wie Pilze, Hecken wurden gepflanzt und Gartenmäuerchen angelegt. Der Berufssport stand hoch im Kurs, und nach allgemeiner Übereinkunft war das einzige, was wir von der Welt kennenlernen können, die alleräußerste Oberfläche der Welt, nicht die Absicht, sondern das Verhalten, nicht der Umgang mit der Macht, sondern die Macht, nicht die Bedeutung der Sprache, sondern lediglich die Sprache. Per Olof Sundman trat zum ersten Mal an die Öffentlichkeit und beschrieb in seinen Untersuchungen die Rolle, die die Macht jetzt in unser aller Leben zu spielen begonnen hatte. Die Privatsphäre blühte.
     
    Ich träume manchmal von diesen mittelalterlichen Tierbüchern, Bestiarien , die ein alter Dominikaner mir einmal in The Bodleian Library in Oxford zeigte. Sie beschreiben alle bekannten Tiere, und einige davon sind Phantasieungeheuer, die es natürlich auch alle gegeben hat, aber nur als Spiegelungen von etwas anderem, das der Verfasser erlebt hat. Drachen und Meeresungeheuer von der Art, wie sie sich auf manchen Landkarten fröhlich tanzend und hohe Wasserstrahlen speiend vor Islands Küste winden. Sie werden mit einer ebenso großen Fülle an Details und mit der gleichen autoritativen Ruhe geschildert wie die existierenden Tiere (und falls es zu irgendeinem Streit kommen sollte, braucht man nur auf Aristoteles zu verweisen. Der weiß Bescheid).
    Die private Wahrheit dieser Bücher mit ihren wunderbaren handgemalten Illustrationen ist natürlich um ein Vielfaches größer als ihre biologische Wahrheit. Sie sagen viel mehr über die Träume des Verfassers aus, aber nicht nur das: sie sagen noch mehr aus über die Träume, die man zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Bücher für natürlich und richtig hielt.
    Und über diesen Umweg kommt dann doch eine historische Wahrheit zum Vorschein, und wenn wir nach so langer Zeit zu diesen Büchern zurückkehren, geschieht das nicht um ihrer offensichtlichen Lügenhaftigkeit, sondern um ihrer verborgenen Wahrhaftigkeit willen.
    Die Welt, in der meine Erzählung spielt, ist ein Bestiarium. Die Bestien, die diese Kreise bevölkern, werdet ihr vielleicht nicht auf den ersten Blick wiedererkennen, aber dennoch weigere ich mich zu glauben, daß meine Geschichte sich am Ende als »privat« erweisen wird.
    Die Wahrheit müßt ihr nach eigenem Gutdünken herausfinden. Nach politischen Tugenden werdet ihr bei mir vergeblich suchen. Wenn ich irgendwelche Tugenden besitze, so sind sie persönlich, und es braucht im allgemeinen sehr viel Zeit, um sie zu finden.
    Mehr sage ich nicht.
    Die Versuchung, bei den Bildern stehenzubleiben, ist fast übermächtig. Homunculus in seiner Flasche, aber nicht nur Homunculus. Ich habe nichts gegen diese Bilder, ich wäre hilflos ohne sie, ich liebe sie, aber ich weiß, in dem Augenblick, in dem ich bei ihnen stehenbleibe, bin nicht nur ich, ist auch meine Erzählung verloren.
     
    Dieser Kreis ist mit Bestien bevölkert, mit seltsamen Tieren und Geschöpfen, dreiköpfigen Ungeheuern, seltsamen Organismen mit Echsenkörper und Vogelköpfen, die sich mit gesundem Appetit gegenseitig in Leber und Nieren hacken.
    Wieviel davon nur eine Widerspiegelung meiner eigenen Verzweiflung ist und wieviel zur Umwelt

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