Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
Vom Netzwerk:
gehört, weiß ich nicht: Nach der griesgrämigen Kälte, dem Neid, der Brutalität und dem Hochmut der akademischen Welt kam ich Ende der fünfziger Jahre mit der literarischen in Berührung.
    Und ich fand es erstaunlich, daß diese Gruppe von Leuten, die ich dort antraf, überhaupt dazu imstande war, irgend etwas zu produzieren, sei es von Wert oder nicht. So sehr schienen diese Leute mit dem ewigen Wiederkäuen erlittener Kränkungen und dem aufeinander Herumhacken beschäftigt zu sein: ich meinte, eine Strafkolonie zu sehen, in der die Gefangenen zu ihrer gegenseitigen Bestrafung ausersehen waren.
    Da tobten entsetzlich wichtigtuerische Kämpfe, aber sie drehten sich nicht um Fortschritt oder Reaktion, nicht um Freiheit oder Unfreiheit, sie drehten sich um das Prestige des einzelnen und seine kleinen diminutiven Veränderungen, sie wurden mit so zweifelhaften und primitiven Mitteln ausgetragen, daß man meinte, es mit bösartigen und zugleich gehemmten Kindern zu tun zu haben, die so verschreckt und boshaft sind, daß sie sich nicht trauen, die Puppe des anderen Kindes wegzuwerfen, sondern nur heimlich versuchen, die Fingerspitze vom kleinsten Finger der Puppe abzubrechen.
    Und diese muffige Welt, diese kleine schwedische provinzielle Literaturhölle, wo alle Beteiligten dazu ausersehen schienen, einander zu quälen und auszuschließen, wo das kalte harte Unverständ-nis, die grinsende Verachtung und die freche hemmungslose Lüge, die kleinen, halbwegs machtlosen Fehden in einem solchen Ausmaß das Dasein erfüllten, daß es darüber hinaus kaum noch etwas ande-res zu geben schien, war doch nur ein mikroskopischer Ausschnitt, ein kleiner, fast idyllischer Sonderfall der Wirklichkeit, die mich umgab.
    Mein ganzes Leben lang hatte ich die Außenwelt als feindlich empfunden (und mit ihr Kontakt aufzunehmen war mir nur möglich in den äußeren und inneren Gegenden, in denen das Reden zu Hause ist), jetzt sah ich sie mehr aus der Nähe: und sie bestätigte laut ihre Feindseligkeit, ihren Haß, ihre selbstverständliche Verachtung.
    Dieser wimmelnde, zischende, wütende und aufgebrachte Haufen von Bestien jagte mir eigentlich nie Angst ein: ich hatte ja immer mit ihm verkehrt, nur die Formen hatten gewechselt. Aber er bestätigte, was ich zu wissen glaubte, er lieferte einen Beitrag zu meiner Kosmologie.
    Das Bestiarium.
    Die eiskalte Hölle, wo alle unentwegt reden und alle einander unentwegt mißverstehen.
    Die glühendheiße Hölle, wo du mit der größten, der äußersten Anstrengung redest (denn es ist schwer, Atem zu holen, die Luft verbrennt dir die Lungen), aber immerzu sitzt jemand gleich neben dir (Wasserspeier) und redet mit einer schrilleren, schärferen Stimme und deutet jedes deiner Worte so aus, daß es seine Bedeutung ändert und sich ins Gegenteil verkehrt,
    und ein Chor von Stimmen, glucksend und höhnisch lachend, sie werfen sich gegenseitig deine mißverstandenen Worte unter Kichern und Hohngelächter wie Bälle zu, und du kannst sie nie mehr erreichen und dir nie mehr Gehör verschaffen, und das Zerrbild, das entsetzliche, entstellte Echo hallt immer stärker und lauter
    und eine dunkle, eine dämmergleiche Hölle (eine Landschaft wie auf einem der äußeren Planeten, ein Eisplanet, der sich langsam, kaum einen Tag pro Jahr, um die eigene Achse dreht)
    sie sitzen um dich herum und betrachten dich, ganz in Eis gekleidet, mit Bärten aus Eis, Kappen aus Eis, eingehüllt in mächtige Pelze aus Eis, und sie machen alle zehn Jahre eine Bewegung, aber so unmerklich, daß du sie kaum wahrnimmst, wenn du nicht äußerst aufmerksam bist
    und du redest, immer eindringlicher, mit immer stärkerer Überzeugung, mit der größten Deutlichkeit, deren du irgend fähig bist
    und sie verstehen dich nicht
    Die Hölle der Narren, wo alle unter Heulen, Weinen und Klagen einem sehr kleinen roten Ball nachrennen, bis einer ihn eingefangen hat und ihn seufzend umklammert
    (in diesem Augenblick, steigert sich das Weinen und Klagen der anderen zu solcher Stärke, daß es jeden vernünftigen Laut übertönt)
     
    Ich weigere mich, bei diesen Bildern stehenzubleiben. Ich gebe nicht auf. Wir fangen wieder an.
    Man ermutigt das kleine Klind oder man warnt es. Man schlägt ihm auf die Finger. Und das Kind lernt, daß die Welt dort ist, wo dir widersprochen wird.
    Diese Lektion ist einfach, und sie sollte lange vorhalten. Jetzt versteht das Kind den Unterschied zwischen sich und der Welt, und das Zusammenspiel zwischen dem Kind

Weitere Kostenlose Bücher