Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
überwiegende Teil dieses Sprengels unter Wasser liege.
Der Åmänningen, der größte von Västmanlands Binnenseen, ist über zehn Kilometer lang und an der breitesten Stelle fünf Kilometer breit. Er ist voller Inseln, Buchten und Verengungen, und der ganze See ist voll von den seltsamsten, riesigen Steinblöcken. Bei Niedrigwasser im Monat Juni tauchen sie auf und werden sichtbar, bei Hochwasser im September und Oktober bilden sie verräterische Untiefen unter dem Wasserspiegel. Genauso unzugänglich sind auch die Strände, auf denen massive Steinblöcke kreuz und quer verstreut liegen, waldbewachsener Strand, Humuserde, Wachsbeeren und Heidekraut gehen unmittelbar über in den steinigen Strand mit seinen uralten Hoch- und Niedrigwassermarken.
Um den See herum gibt es sehr wenig Besiedlung. Die abgelegenen Dörfer bevölkern Holzfäller und Sommergäste. Die schmalen, steinigen Wege sind gar nicht selten mit der Schlacke von verlassenen Hütten aus dem achtzehnten Jahrhundert gebaut; die schönsten taubenblauen Steine verbergen sich im weißen Staub der Landstraße, der zur Sommerzeit in riesigen Wolken hinter den Autos aufwirbelt.
Und an einem klaren Herbsttag können die in ein Gespräch vertieften Spaziergänger auf dem Weg zwischen Scharen, riesigen Scharen von krächzenden Elstern entlanggehen, die auffliegen und sich auf den Telefondrähten niederlassen. Und in dem alten Dorf bei Sörby fliegen abends im Juli die Schwalben unter den Dachziegeln aus und ein: das ist Freiheit, und sie verwandeln die Luft in ein Luftmeer, machen sie sichtbar.
Die ins Gespräch vertieften Spaziergänger auf dem Weg bemerken nicht die Krähen um sich her. Sie gehen kaum zur Seite, wenn der Sohn des einzigen Bauern in der Gegend mit viel zu hoher Geschwindigkeit in seinem häßlichen kleinen Auto vorbeifährt: er lebt davon, in der Scheune seines Vaters Reparaturen zu machen (diese ländliche Gegend hat den ganzen Kreislauf mitgemacht und ist nun wieder unterwegs in das industrielle Zeitalter hinein, aber in aller Heimlichkeit, von unten her).
Auf einem kleinen sandigen Bergrücken, mit Aussicht auf eine kleinere, nacheiszeitliche Bucht des Åmänningen oder Litorinameeres, wo friedliche Schafe weiden, baute ich in einem Frühling und ein paar Sommern Mitte der sechziger Jahre das erste Haus, aus dem gesündesten Kiefernholz, das in den Innenwänden tausend Astknorren hat und noch nach Firnis und Wald duftet. Mit der Zeit kamen noch ein paar Zimmer dazu, als Obdach für Bücher, Kinder, Ruder, Fischnetze, Bilder von Vulkanausbrüchen und Schiffskatastrophen (wo es ruhig ist, umgebe ich mich immer mit solchen Bildern, ohne auch nur einen Augenblick darüber nachzudenken) und für die alte schwere Hobelbank mit all den Scharten und Spuren von Sägen, die zu weit gesägt haben, und Stemmeisen, die zu tief geschlagen haben.
Mitten in den Hochsommernächten kann man das unbeschreibliche Schluchzen des Luchses von der anderen Seite des Tales her hören.
(In der Nacht, als die ersten Astronauten den Mond betraten, übertönten die entsetzlichen Klagelaute des Luchses vom Waldrand her die rasselnden metallischen Radiostimmen aus einer anderen Welt.)
Und im Spätherbst hüllt sich die Gegend jedes Jahr in einen mächtigen Nebel, der so dicht ist, daß man nicht einmal mehr das Haus auf dem anderen Hügel sehen kann. Es ist die Zeit, wo die Schwalben zur Ruhe gehen und ihren Schlaf beginnen. Und an einer bestimmten Stelle draußen auf dem See (ich habe ein altes, fünf Meter langes Boot, das allen Winden gewachsen ist, die auf dem Åmänningen vorkommen können und das einen dieser altmodischen Motoren hat, die beim Starten niemals streiken), an der allertiefsten, kann man schwere, dumpfe Glockenschläge unter dem Wasser hören, als gäbe es eine Kirche tief unten in dem bodenlosen Loch. Ich nenne sie »Septemberkirche unter dem Wasser« und stelle mir vor, daß es eine Kirche für die Ungeborenen ist, für die, die einmal kommen und die Gegend in Besitz nehmen werden, Menschen in einer besseren, einer zukünftigen Welt, die die zugewachsenen Äcker wieder bebauen und neue Boote auf den See schicken werden statt derer, die jetzt unten an der Sumpfwiese verfaulen, wo die Weiden ihre Zweige ins Wasser hängen lassen.
Ich weiß nicht, wie sie ihre Boote bauen werden, ob mit flachem Boden oder mit hohem Vordersteven, ich weiß nicht, ob sie eine technisch weit fortgeschrittene Kultur haben werden oder eine nur geringfügig entwickelte,
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