Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
ob sie ihre Häuser in Dorfgemeinschaften anlegen werden oder weit voneinander entfernt, aber ich hoffe und glaube, daß ihre humanen Instrumente den unseren überlegen sein werden, daß sie tief ineinander hineinhorchen und mit selbstverständlicher Klugheit ein verfeinertes Netz von Freundschaften und Toleranz zwischen diesen Inseln, Buchten und Sunden knüpfen und diese ruhig abwartende, diese immer noch frühe Welt in Besitz nehmen werden.
Während der Sommer in der Mitte der sechziger Jahre machte ich es mir zur Gewohnheit, in der Gemeinde Väster Våla zu wohnen und an den Tagen, die meine Anwesenheit in Stockholm erforderten, mit dem Zug dorthin zu fahren.
Wie ein ganz kleines Kind, das aus der warmen Badewanne springt und in der Wohnung herumläuft, nur um des Vergnügens willen, wieder ins warme Wasser schlüpfen zu dürfen, so freute ich mich über den krassen Wechsel zwischen diesen beiden Welten, die nichts anderes gemein haben, als daß sie in der gleichen historischen Zeit existieren und daß die eine die Rohwaren, die Arbeitskraft, die Lebensmöglichkeiten der anderen kolonialistisch ausbeutet.
An solchen Tagen stand ich gewöhnlich um sechs Uhr morgens auf, wenn noch ein leichter Nebel über den Wiesen lag, und radelte mit der schweren erfahrenen Aktenmappe und ihrer Sündenlast an Manuskripten und Briefen auf dem Gepäckträger die steilen Steigungen nach Ängelsberg hinauf, wo der Bahnhofsassistent mit seinen Rangierern immer gegen sieben Kaffee trank, während der See sich still wie Quecksilber, wie geronnenes Blei vor dem Bahnhofsgebäude ausbreitete.
Zwischen dem Klingeln der Signale und den Telefongesprächen mit dem Bergwerk in Norberg, das seinen täglichen Bedarf an Förderwagen bestellte (das war noch ein paar Jahre vor der Schließung der Gruben in Norberg), pflegten wir uns über Schweden zu unterhalten und über unsere Fremdheit in dem neuen Reich, das jetzt entstand.
Diese Menschen, die keine andere Kunst beherrschten als die, eine Bahnstation tadellos instand zu halten, fünfmal täglich Signale und Weichen zu überwachen, Wege zu harken und die Pelargonien in ihren großen gußeisernen, von schwarzer Firnis glänzenden Töpfen draußen vor dem Bahnhofsgebäude zu pflegen, verfaulte Eisenbahnschwellen gegen neue, nach Imprägnierungsmitteln und schwarzem Kreosot duftende auszutauschen, kurz gesagt, diese redlichen Fachleute lebten in der ständigen Angst, daß eines Morgens ein Brief mit dem Dienstkuvert der Schwedischen Eisenbahn ankommen und in ein paar kurzen Zeilen mitteilen würde, daß der Bahnhof stillgelegt werden sollte. Sie lebten nicht nur in der Angst: sie waren überzeugt davon, daß dies eintreffen müsse, und waren sich nur nicht sicher, an welchem Tag es geschehen würde.
Sie fühlten sich schon herabgesetzt, überflüssig, und sprachen von der Bürokratie des zentralistischen Staates, wie man von einer fremden Okkupationsmacht spricht.
Zu dieser Zeit begann ich (wie alle in meiner Generation) vorsichtig die Türen zu ganzen intellektuellen Welten zu öffnen, die man uns durch Schule, Gymnasium und Universität hindurch verschlossen gehalten hatte, und während dieser Periode füllte sich mein Tisch mit Theoretikern, von Bakunins »Die Reaktion in Europa« bis zur »Kritik der Wirtschaftsphilosophie« und mit modernen Denkern wie Habermas und André Gorz.
Aber fast mehr als alle Bücher lehrte mich der Kontakt mit diesen Leuten, etwas zu sehen, was noch kurz zuvor zu sehen unmöglich gewesen war. Ich glaubte, zwei Gesellschaften in ein und derselben zu erkennen. Die eine, glanzvoll in ihrer Machtvollkommenheit, mit Inlandzügen zwischen Kongressen unterwegs, bei Soireen im Modernen Museum auf die Kulturpolitik anstoßend, zu Verständigungsverhandlungen in Harpsund, im Speisesaal der Großen Gesellschaft in der Arsenalsgatan über Kaffeetassen flüsternd, mit dem technischen und administrativen abstrakten Jargon ausgerüstet, der seit der Nachkriegszeit endgültig die Alltagsprosa abgelöst hatte, eine undeutliche, intellektuelle, vage Sprache, mit verfeinerten Mitteln ausgestattet, um die konkreten Wahrheiten in abstrakten Euphemismen zu verstecken. Diese Gesellschaft bewegte sich glanzvoll in der denkbar besten aller Welten. Glanzvoll und eingeschlossen bewegten sich ihre Verwalter und die Eichmeister ihrer Gewichte und Zahnräder in der ihnen eigenen Sprache, die die Sprache der Macht war und zugleich ihre Harmonie, ihre Vernünftigkeit, ihre Zweckmäßigkeit
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