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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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mich bei Ihnen bedanke. Gott, war ich glücklich, als Sie kamen!
    Ich sah ihr ins Gesicht, und es strahlte förmlich von einem Gefühl, das wohl Glück gewesen sein muß.
    Zu meinem Entsetzen sah ich, daß es nicht mehr ganz so häßlich war. Es strahlte vor aufrichtiger Dankbarkeit.
    Das war zuviel für mich.
    Ich raste die restlichen Treppenstufen hinauf, hantierte ungeschickt mit dem Schlüssel, bis ich endlich die Tür aufbekam.
    Ich lag lange angezogen, hellwach auf dem Rücken im Bett und starrte mit bereits eiskalten Augen die Wasserflecken an der Decke an.
    Das war ein Wendepunkt.
    Jahre der Trauer und der Unklarheit lagen hinter mir.
    Ich mußte leben oder fliehen. Den Riß konnte ich nicht länger verleugnen.

Die Schneestürme toben über Nordeuropa
     
    Hoch über den heftigen Schneestürmen, die über ganz Nordeuropa tobten, die Wege zuschütteten und in den großen Städten den Verkehr stillegten, flog lautlos in seiner Höhe das silberne Flugzeug. Es schwenkte nach Norden und passierte ein weiteres Sturmzentrum östlich von Hamburg, bog dann in den nördlichen Luftkorridor ein, der nach Berlin führt.
    Weiter nördlich, in Öresund, schoben sich Treibeismassen vom Bottnischen Meerbusen heran, die Fähren blieben mit hilflos dröhnenden Triebwerken vor Helsingör liegen. Und noch weiter nördlich, in den västmanländischen Wäldern, starben Hirsche mit blutigen Hufen an ihren schneebedeckten Futterkrippen, stürzten die Bäume mit einem langsamen, melancholischen Geräusch um, das in den treibenden Eismassen verschluckt wurde und erstarb, sanken die Devisenreserven, wurden die Feuilletonseiten unter Druck gesetzt, kämpften die Sekten, wurden die Lehrpläne vereinfacht, traten die Komitees zusammen, verstummten die Demonstranten.
    Und ich? Ich wechselte den Schauplatz.
    In der rechten Tasche der dicken braunen Reisejacke hatte ich einen Kamm, einen Kalender, der für die nächsten fünf Wochen keine Termineintragung aufwies, einen Schlüssel zu einem Turm in der Gegend des Lago Maggiore; er gehörte einem kleinen, freundlichen, schwedischen Margarinedisponenten, der jahrelang nicht mehr dort gewesen war (»modernes Badezimmer von Gustavsberg, bequeme dicke rote Teppiche auf der Treppe, die sich innerhalb der meterdicken langobardischen Steinmauern durch vier Stockwerke hochwindet«), das kleine abgenutzte Adreßbuch mit Hunderten von Telefonnummern und Adressen, in der rechten Westentasche dreitausend Kronen, die den Vorschuß für ein Hörspiel darstellten, in der linken Jackentasche eine sehr kleine, lederbezogene Taschenlampe...
    (Der elegante ältere Herr im Kaufhaus NK zeigte mir alle erdenklichen Modelle, angefangen mit halbmeterlangen, phallusähnlichen, die für Wettsegler auf dem Meer und für Rohrleger gedacht waren, bis zu eigenartigen kleinen Konstruktionen, die am Schlüsselbund einer Dame befestigt werden sollten.
    – Wozu werden Sie sie eigentlich brauchen?
    – Um eine verrostete Eisenpforte zu öffnen, an einem Ort, wo es vermutlich stockdunkel ist.
    – Aha, ich glaube, dann wird diese hier am besten passen. Man bezeichnet sie als Reisetaschenlampe .)
    Die mütterliche Aktenmappe wölbte sich vor lauter Büchern, Papieren, Isländerpullovern, Unterhosen zum Wechseln, Notizblöcken, Kugelschreibern, Pfeifenreinigern, Anschovisbüchsen.
     
    Wie zur Besinnung kommen?
     
    Der Kapitän machte mit einer undeutlichen, norddeutschen metallischen Stimme über den Lautsprecher darauf aufmerksam, daß die Maschine im dichten Schneegestöber möglicherweise nicht würde landen können. Die Passagiere flüsterten besorgt miteinander. Ein paar Minuten später versprach er, jedenfalls einen Versuch zu machen. Die mächtigen Landeklappen an den Flügeln glitten heraus, die Geschwindigkeit verringerte sich, internationale Flugsicherungs-Systeme und Radiopeilgeräte dirigierten uns durch den schmalen Korridor. Iirgendwo tief unten mußte die weitläufige Stadt liegen.
    Von den Lichtern war nichts zu sehen. Die Passagiere bewegten sich unruhig in ihren Sitzen, die fetten Herren aus Hamburg und Lübeck mit ihren gefälteten Specknacken husteten nervös aus ihren Sesseln heraus.
    Nur ich blieb ruhig. Ich hatte ja kein Ziel.
     
    Ich weiß nicht, ob es für mich das Wichtigste ist, zur Besinnung zu kommen.
     
    Das freudianische Proletariat verkriecht sich in seine Schlupfwinkel, streichelt sich gegenseitig die Seelen, wie man Katzen streichelt, läßt sich zum Klang melancholischer Stimmen, die mit

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