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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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kümmert es dich, ob sich jemand frei fühlt , ob Raum wird für Liebe, Wärme, Reife oder nicht. Für dich spielt das keine Rolle: für dich ist das Wesentliche nicht, welches Maß an Empfänglichkeit, an Einfühlungsvermögen, an aufrichtiger Klugheit ich in meinem Leben erreichen kann, du hast andere Ziele vor Augen, und die betreffen die Allgemeinheit.
    (Nie, niemals werde ich vergessen, wie furchtbar streng sie mich ansah.)
    – Du irrst dich. Ich wünsche mir nichts mehr als Liebe, Wärme, Hoffnung.
    Aber ich glaube nicht, daß du dies jemals auf eigene Faust wirst verwirklichen können.
    Die Nase im Haar ihres Nackens vergraben, so daß die häßlichen entzündeten Pickelchen darauf sich nur ein paar Millimeter vor meinen Augen befanden und aussahen wie eine rätselhafte Berglandschaft auf einem fernen Himmelskörper, fuhr ich fort (und spürte, wie Verzweiflung und Geborgenheit sich wahnwitzig miteinander vermischten):
    – Die Hölle, das sind die anderen.
    – Die anderen, das ist unsere einzige Hoffnung.
    – Und wir.
    – Sind ihre einzige Hoffnung.
    – Und die Geschichte?
    – Ist nicht nur ihre Geschichte. Es ist auch die unsere.
    – Was nützt das in Kambodscha, wenn die Amerikaner in ein paar Monaten zum Angriff übergehen?
    Schweden. Eisenerzfelder, weiße Nächte, Neutralität zuerst Deutschland gegenüber, dann Amerika und Großbritannien gegenüber, eine Stadt, die sich auf den Postkarten über ein paar eigentümliche Inseln mit Brücken dazwischen hinstreckt, unruhige Dichter, Bild von dir und deinem Hund unter weißen Birken, und der Hund ist schwarz, und du hast noch nie einen Menschen sterben sehen...
    (behutsam hielt ich ihr Ohrläppchen zwischen meinen Lippen)
    – Du hast unrecht. An einem frühen Morgen im Jahre 1956 in Uppsala habe ich meine Wirtin sterben sehen. Sie bekam eine Gehirnblutung, als sie gerade in ihrer engen Küche stand und sich ihren ekligen Morgenbrei kochte, und beim Sturz hat sie sich an dem harten Herdrand ihre Schläfe und das Auge zerschmettert, und der Brei lief über den Herd, da der Topf weiter vor sich hin kochte und schließlich überlief und die ganze Wohnung mit dem schrecklichen Geruch nach Angebranntem füllte. Da gingen ein jüngerer jämtländischer Student mit Namen Enquist und ich ganz still in die Küche und sahen den großen unförmigen Körper mit einem auf unnatürliche Weise eingeknickten Bein in dem feierlichen Morgenlicht daliegen.
    Und wir wußten beide, daß es ein verfehltes, ein durch und durch unglückliches Leben gewesen war. Sie war mit zwanzig von ihrem Verlobten verlassen worden und hatte, eingeschlossen in eine stickige,übelriechende Wohnung, vierzig Jahre damit zugebracht, Studenten auszuschimpfen, die die Gardinen verräucherten, oder sich mit ihrer Schwester zu zanken.
    Sie pflegten in dem Vorplatz vor meinem Zimmer zu stehen und sich zu zanken, und an einem bestimmten Punkt ihres Gezänks wechselten sie immer von der ersten in die dritte Person über, und jetzt, da sie tot war, war das Zimmer voll von dem Geruch nach angebranntem Brei und dem Altfrauengeruch, und als ihre Schwester von der Markthalle nach Hause kam (es war in Uppsala, wo dies geschah), hatten der andere Student und ich schon nach Leuten telefoniert, die sie nun abholen kamen.
    Ich weiß, daß du Tote zu Hunderten gesehen hast, steifgefrorene Körper in ausgebrannten Panzerwracks, tote Flüchtlinge in zusammengeschossenen Kolonnen im Winter an Sachsens Straßen, und daß du ein achtjähriges Mädchen warst, als du das sahst, aber es ist der gleiche Tod.
     
    – Du mißverstehst mich.
    Ich rede nicht so viel vom Tod; ich frage mich, warum du dich so dafür interessierst.
    – Weil ich mir jahrelang gesagt habe, daß der Tod mein Verbündeter ist. Und ich meinte natürlich meinen eigenen Tod.
    – Aber du hast vergessen, daß...
    – Ja.
    Daß man nicht der Verbündete des Todes sein kann, ohne mit allem, was Tod heißt, im Bunde zu sein.
    – Aber du liebst doch deine Frau, deine Kinder?
    – Ja. Wie Schwalben, die in der Dämmerung eines Sommerabends um eine alte Kate fliegen oder wie etwas, was mich aus einem unruhigen Schlaf weckt, wie die Ruhe an gewissen sehr frühen Sommermorgen, aber
    – Aber?
    – Aber ich habe nie gewagt, sie zu stören.
    – Womit?
    – Mit dem Tod.
    – Ich denke so viel über dich nach, wie ich schon lange über keinen Menschen mehr nachgedacht habe,
    (wir befanden uns jetzt unter dem Frühstückstisch auf dem gelben Teppich, sie hatte

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