Ritual - Höhle des Schreckens
Pendergast? Ich habe Ihnen fünf Minuten eingeräumt, eine davon ist bereits vergangen«, sagte Boot in verbindlichem Ton, bevor er wieder an das Zeichenbrett zurückkehrte und ein neues Memo in den Laptop hämmerte. Als er fertig war, warf er stirnrunzelnd einen Blick auf seine Armbanduhr.
Pendergast blieben noch drei Minuten.
Allmählich wuchs der Mann sich zum Ärgernis aus. Saß in seinem Büro, fühlte sich offensichtlich pudelwohl und betrachtete angelegentlich die Holzverkleidung der Wand an der Stirnseite des Raumes. Nein, er betrachtete sie nicht, er starrte sie geradezu an. Was sollte das?
»Mr. Pendergast, Sie haben noch zwei Minuten«, stellte der Generalmanager kühl fest.
Der Mann machte eine vage Handbewegung. »Denken Sie sich bitte nichts dabei. Sobald Sie sich in der Lage sehen, mir Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, wird es mir ein Vergnügen sein, mich mit Ihnen zu unterhalten.«
Boot warf ihm einen Blick zu, nur knapp und über die Schulter. »Es wäre besser, wenn Sie jetzt damit anfangen, Sie haben nämlich nur noch eine Minute.«
Der Mann musterte ihn mit einem so durchbohrenden Blick, dass Boot unwillkürlich zusammenzuckte. »Der Tresor befindet sich hinter dieser Wand, nicht wahr?«
Boot rang um Fassung. Wieso wusste der Mann, wo sich der Firmentresor befand, obwohl das eigentlich nur drei Spitzenmanagern und dem Aufsichtsratsvorsitzenden bekannt war? Gab es ein verdächtiges Merkmal an dem Paneel, eine Schadstelle oder dergleichen? Oder stand die Firma unter Beobachtung des FBI?
Boot verschanzte sich hinter der Bemerkung: »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.«
Pendergasts Lächeln fiel leicht amüsiert aus. »Mr. Boot, Ihre geschäftlichen Belange erfordern ein hohes Maß an Sicherheitsvorkehrungen. Die Unterlagen, die in diesem Tresor schlummern, sind sozusagen die Kronjuwelen Ihrer Firma. Wobei ich, wie Sie sicher ahnen, auf die seismografischen Karten mit den Ergebnissen der Erforschung des Anadarko-Beckens anspiele. Diese Karten zeigen die Lage von Öl- und Gasvorkommen. Da versteht es sich von selbst, dass sie in einem Tresor aufbewahrt werden müssen. Und den wollen Sie nicht irgendwo, sondern in Ihrer Nähe haben, damit Sie immer ein Auge auf ihn haben können. An drei Wänden Ihres Büros hängen wertvolle Gemälde alter Meister, an der vierten Wand dagegen relativ preiswert zu erstehende Stiche. Stiche kann man abhängen, ohne befürchten zu müssen, dass sie Schaden nehmen. Daraus schließe ich, dass der Tresor hinter der Stirnwand liegen muss.«
Boot lachte. »Sie gefallen sich anscheinend in der Rolle eines unfehlbaren Sherlock Holmes.«
Pendergast stimmte gut gelaunt in Boots Lachen ein. »Ich möchte Sie höflich ersuchen, Ihren Tresor zu öffnen und mir die Karte mit den seismografischen Daten der Cry County zur Verfügung zu stellen, und zwar auf dem aktualisierten Stand von 1999. Es handelt sich selbstverständlich um eine Bitte, bei der es ganz in Ihrer Entscheidung liegt, ob Sie sie gewähren wollen.«
Boot war ein in vielen kritischen Situationen erprobter Manager, daher gelang es ihm mühelos, sich beherrscht zu geben. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass bei schwierigen Verhandlungen ein leiser Tonfall auf den Gesprächspartner am einschüchterndsten wirkte. Und so senkte er seine Stimme bis zu einem kaum vernehmlichen Flüstern.
»Mr. Pendergast, wir reden hier, wie Sie es so treffend formuliert haben, von den Kronjuwelen der ABX. In den von Ihnen angesprochenen geologischen Informationen steckt die Arbeit aus dreißig Jahren seismografischer Erkundungen und nicht angemeldeter Versuchsbohrungen im Gegenwert von etwa einer halben Milliarde Dollar. Und Sie bitten mich einfach, Ihnen solche Unterlagen auszuhändigen?«
»Wie gesagt, das liegt ganz in Ihrem Ermessen. Eine gerichtliche Anordnung könnte ich mit Sicherheit nicht erwirken.« Na also, der Mann gab selbst zu, dass er nichts in der Hand hatte, und schon gar kein Ass im Ärmel! Ein Spaßvogel, der es einfach auf gut Glück versuchte. Oder es steckte ein Trick dahinter. Irgendetwas an der ganzen Geschichte löste bei Boot ein unbehagliches Gefühl aus. In solchen Fällen war es angeraten, sich auf ein höfliches Lächeln zu beschränken.
»Es tut mir Leid, Mr. Pendergast, dass ich Ihren Wunsch nicht erfüllen kann. Wenn es sonst nichts zu besprechen gibt, darf ich Ihnen einen angenehmen Tag wünschen.« Boot kehrte zu seinem Zeichenbrett zurück und entwarf ein neues Memo. Aus
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