Rosskur: Ein Allgäu-Krimi
Oder einen von ihnen?«
»Nein.«
»Und woher weißt du, dass es Männer waren?«
»Ach … na ja … das hab ich mir halt so gedacht.«
»So, so, das hast du dir halt so gedacht.« Ruff sah den Alten forschend an. »Weißt du was, Pröbstl?«
»Hm?«
»Du solltest das Saufen sein lassen. In Salvatores Stall war niemand, das hast du dir nur eingebildet, glaub mir. Erzähl so einen Schmarrn bloß nicht rum, die halten dich sonst noch alle für deppert.«
»Tun sie eh«, brummte Pröbstl, wuchtete sich mit Ruffs Hilfe hoch und blieb leicht schwankend stehen.
»Glaub mir, bei uns ist alles in Ordnung. Kein Grund zur Sorge, Salvatore geht’s gut.«
Pröbstl stierte zur Stalltür hinüber, doch das Pferd war nicht zu sehen. Wahrscheinlich hatte es sich für die Nacht tiefer in seinen Verschlag zurückgezogen.
»Magst noch einen Kaffee, bevor du heimgehst?«
Ruff hatte einen fürsorglichen Tonfall angeschlagen, aber es war schon klar, dass er den alten Mann damit heimschickte: Noch niemand hatte jemals Pröbstl einen Kaffee trinken sehen.
»Um Gottes willen«, wehrte der dann auch prompt ab, »bloß keinen Kaffee, aber wenn du mir einen Obstler …?«
»Jetzt mach schon, dass du heimkommst!«
Ruff versetzte dem Alten einen freundschaftlichen Klaps, fingerte noch einen Zwanziger aus der Hosentasche und steckte ihn Pröbstl zu. Er sah ihm nach, wie er sich schwankend auf den Heimweg machte.
Dann ging er zu Salvatore in den Stall. Das Pferd stand unruhig in seinem Verschlag und blickte immer wieder ängstlich um sich. Ruff tätschelte ihm besänftigend die Flanken, dann ließ er sich langsam nach unten sinken, blieb auf dem strohbedeckten Boden sitzen und musterte die Schürfwunden, die seine Knöchel von der Rauferei davongetragen hatten.
Hoffentlich hatte er den alten Trunkenbold davon überzeugen können, dass er sich das alles nur eingebildet hätte.
Es war knapp gewesen. Und er hatte keine Ahnung, ob die beiden in einer der folgenden Nächte wiederkommen würden.
Worauf hatte er sich da nur eingelassen?
Montag, 3. Juni
»Und reißts euch fei zamm!«
Damit knallte Kriminaldirektor Benedikt Huthmacher die Tür zum Besprechungsraum hinter sich zu und tupfte sich mit einem Taschentuch die Stirn trocken. Er atmete ein paarmal tief durch, hob den Blick und wollte gerade losmarschieren, um den neuen Leiter des Kommissariats 1 im Foyer zu empfangen – da sah er schon, dass er sich den Weg sparen konnte.
Keine drei Meter entfernt lehnte ein Mann an der Wand, der Mühe hatte, sich ein Grinsen zu verkneifen: Erster Kriminalhauptkommissar Eike Hansen, seit heute neuer Chef des K1 der Kripo Kempten.
»Ah, Herr Hansen … Sie sind schon …?«
Huthmacher räusperte sich, ging auf seinen neuen Mitarbeiter zu, schüttelte ihm die Hand und lächelte ihn entschuldigend an. »Ich hatte gerade noch …«
Dass der Leiter der Kemptener Kripo Sätze gern unvollendet ließ, wenn er sich in einer Situation nicht sicher fühlte, hatte Hansen schon während des Bewerbungsgesprächs bemerkt, doch diesmal war Huthmacher die Verlegenheit deutlich ins Gesicht geschrieben. Offenbar würde der Start hier im Allgäu noch etwas schwieriger werden, als er es ohnehin schon befürchtet hatte.
»Grüß Gott, Herr Huthmacher«, sagte Hansen. Die Begrüßung klang in seinem dialektfreien Hochdeutsch unfreiwillig komisch. »Kann ich mich den Kollegen gleich mal vorstellen? Wenn wir sie schon beisammenhaben.«
»Sie … nun ja … wissen Sie was? Die sollen noch etwas warten. Ich zeig Ihnen erst einmal Ihr Büro, dort trinken wir in Ruhe einen Kaffee, und danach haben Sie immer noch Zeit, die Kollegen …« Er senkte die Stimme. »Dann kann ich Ihnen auch gleich erzählen, warum ich gerade die Tür hinter mir zugedonnert habe.«
Ein Lächeln huschte über sein feistes Gesicht. Überhaupt sah der Kripochef mit seiner fülligen Figur, der hohen Stirn und dem bequem fallenden Anzug recht gemütlich aus – doch das harmlose, fast etwas tapsige Äußere täuschte, wie Hansen aus Gesprächen mit einem Bekannten im bayrischen Innenministerium wusste: Huthmacher war einst selbst Leiter des K1 gewesen, ein begnadeter Ermittler, der seinen Kopf durchsetzte und zugleich seinen Mitarbeitern ein einfühlsamer Vorgesetzter war.
In Hansens Büro roch es frisch gestrichen, der Raum war hell und übersichtlich möbliert: Ledersessel, Schreibtisch, halbhohe Schränke, eine Besprechungsecke.
Eine Frau mittleren Alters kam mit einem
Weitere Kostenlose Bücher