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Rote Sonne über Darkover - 5

Rote Sonne über Darkover - 5

Titel: Rote Sonne über Darkover - 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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richtig, obwohl der Stock jetzt ein bißchen zu schwer für ihn war. Er würde ihn mit beiden Händen fassen müssen, um ihn regieren zu können, wenigstens manchmal.
    Er schmolz etwas Schnee in einer Kuhle auf einem Felsblock, wie er es am Tag zuvor getan hatte, und ließ die Sonne ihn so lange erwärmen, wie er das Warten aushielt. Es war der Stoff des Lebens und ermutigte ihn, es an diesem Nachmittag mit dem Abstieg zu versuchen. Er wurde ohne Nahrung ständig schwächer und hielt vielleicht eine weitere Nacht nicht aus, wenn er die inneren Flammen nicht anzapfen konnte. Seine Hände und Füße bereiteten ihm große Schmerzen, denn jetzt waren sie soweit aufgetaut, daß sie wieder zu blutlosem Fleisch geworden waren. Aber die Finger ließen sich noch bewegen; es mußte heute sein.
    Nachdem er sich ausgeruht hatte, zog er sich mit dem Stock in die Höhe. Von neuem fiel ihm das zarte Filigranmuster der unter der Rinde verlaufenden Wurmgänge auf. Das war sein Zauberstab, sagte er sich, sein mächtiges Hexenmeister-Werkzeug, mit Runen versehen, die ihm helfen würden, jeden Feind zu besiegen. »Sogar den Tod«, murmelte er. »Sogar den Schwarzkünstler. Nun steht mir bei, Mächte des Lichts!« Er lächelte schwach über das Bild, das er abgab, ein Mönch in der braunen Cristoforo -Kutte, der auf den steinigen Hang hinaushinkte und dabei heidnische Mächte anrief.
    Er verbrachte mehr Zeit auf Bauch und Rücken liegend als stehend, doch stochernd und rutschend gelangte er mit ungeheuerlicher Vorsicht nach unten. Das war nicht einmal die Geschwindigkeit einer Schnecke, denn er hielt häufig an, um das bißchen an Kraft zu sammeln, das für den nächsten Angriff noch da war. Der Knöchel pochte schrecklich, und seine blauen Flecken waren so zahlreich, daß er auch nicht einen Augenblick Ruhe vor Schmerzen bekam. Trotzdem schob er sich weiter, umging größere Hindernisse und kroch manchmal durch den Schnee unter und zwischen den Blöcken.
    Der Zauberstab war leicht gekrümmt, stellte er fest. Er paßte gut auf, ihn nicht entgegen der Krümmung mit seinem Gewicht zu belasten. Das machte das Gehen noch schwieriger, aber ohne den Stock als Stütze hätte er überhaupt nicht weitergehen können. Sogar die Magie will mich aufs Kreuz legen, dachte er grimmig. Aus dem Nichts stieg die Erinnerung an ein kleines Kreuz in ihm auf, das er in einer dunklen Nische in der Kapelle gesehen hatte. Keiner der Mönche hatte eine Ahnung, was es bedeutete, doch einige glaubten, es sei so alt wie Darkover selbst. Andra meinte, jemanden sagen gehört zu haben, ein Kreuz sei einmal eine Art Markierung für Gräber gewesen. »Nun denn«, sagte er laut, »wir werden das Grab ankreuzen, mein krummer Stock und ich!« Er fühlte sich schwach und dem Delirium nahe, und er wußte, daß seine Gedanken Unsinn waren.
    Die Sonne versank hinter dem hintersten Bergkamm. Andra war auf dem Weg nach unten erst ein bißchen über die Hälfte gekommen, aber er mußte weitergehen. Taumelnd stützte er sich schwer auf den C-förmigen Stab und nahm das nächste Stück in Angriff. Der Fuß des Hanges war gerade noch sichtbar. Andra glaubte, ganz schwach den Weg zu erkennen, der sich auf eine grüne Linie zuwand.
    Und dann gab der Stock plötzlich nach. Er splitterte aus der Tiefe seiner Krümmung heraus über die ganze Länge und ließ Andra nach rechts torkeln, nacktem Fels entgegen. Im Fallen versuchte er sich so zu drehen, daß er seinen Knöchel schonte, und prallte mit dem Kopf gegen etwas Hartes. Der Aufschlag tat ihm nicht mehr weh.
    Er war bei Bewußtsein, aber nicht wach. Zuerst konnte er nichts sehen. Erstaunlich, dachte er, die Schmerzen, die sein Körper ihm bereitet hatte, waren verschwunden. Aber dann erhob sich die Frage: Wo war sein Körper?
    Winzige Lichtpunkte schwebten vor ihm, doch sie waren fern, schwach und formlos. Er versuchte, sich einem Licht zu nähern, aber es bewegte sich weg von ihm und hin zu einem anderen.
    Zusammen bildeten die beiden ein kleines Gesicht, das nur undeutlich zu erkennen war. Das Gesicht von jemandem, den er gekannt hatte, nur konnte er es nicht unterbringen. Es zeigte ein wunderbares Lächeln, und dann ging es aus. Dann kamen weitere Lichter, näherten sich, und ein anderes Gesicht tauchte aus ihnen auf. Nein - jetzt waren viele Gesichter da, alles Brüder, und sie schwebten auf den Facetten eines leuchtenden Juwels. Andra wußte, es war eine Matrix, größer und mächtiger als alles, was in den Legenden berichtet

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