Rückkehr nach St. Elwine
dann stets völlig hilflos und das entfachte eine Wut in ihm, die sich gegen irgendjemanden richten musste - ganz egal gegen wen. Es sei denn er schaffte es, sich sportlich bis zur völligen körperlichen Verausgabung zu betätigen. Aber das war leider nicht zu jedem Zeitpunkt möglich.
Amy ließ ihn kurzerhand stehen, verschwand im Badezimmer und ließ krachend die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
Sollte sie doch schmollen, wenn sie seine Worte stets nach Gutdünken auslegte, er war jedenfalls momentan nicht in der Stimmung, mit ihr diese Art von Diskussion zu führen. Marc klopfte seine Taschen ab, in der Hoffnung noch eine Zigarette darin zu finden, doch er wusste selbst, wie aussichtslos dieses Unterfangen war, da er das Rauchen bereits vor Monaten aufgegeben hatte. Frustriert zog er sich sein Hemd aus und schleuderte es von sich. Er schob den Vorhang beiseite und trat auf den Balkon hinaus. Die Luft dort war angenehm und strich über seinen nackten Oberkörper. Vom Meer her spürte er eine leichte frische Brise herüberwehen. Wenn er sich anstrengte, konnte er sogar ein paar Möwen kreischen hören.
Wieso war es nicht einfach möglich, sich zeitlebens treiben zu lassen? Warum schien alles, aber auch alles, in seinen Beziehungen mit anderen Menschen stets so kompliziert zu sein? Das Einzige, was wirklich von Kind an Bestand hatte, war die Freundschaft, die ihn mit Joshua Tanner verband. Selbst wenn sie nicht immer einer Meinung waren, respektierte jeder stets den anderen. Niemals hatte sein Freund von ihm irgendetwas verlangt, das er, Marc, nicht zu geben bereit war. Er hatte ihn nie zu etwas gedrängt, so dass er sich wie ein in die Enge getriebenes Tier vorkommen musste, ein Tier, das verzweifelt einen Ausweg suchte, der zumeist einem Rückzug gleichkam. Vielleicht nicht immer sofort und meistens geschickt getarnt, aber doch ein Rückzug. Marc spürte die vertraute Bitterkeit erneut in sich aufsteigen. Über einer auf dem Balkon gespannten Wäscheleine hing der Neoprenanzug, den er heute beim Surfen getragen hatte. An manchen Stellen wies er bereits klitzekleine schadhafte Stellen auf. Jetzt, in der Dunkelheit, konnte er sie natürlich nicht mehr deutlich erkennen, aber sie waren da. Vielleicht sollte er den Sportsmann Katalog einmal zur Hand nehmen und eine Bestellung aufgeben, doch stattdessen ließ er sich einfach auf dem Boden nieder, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und schloss die Augen.
Er hörte das leise Klicken der Verbindungstür zwischen Bad und Schlafzimmer. Wahrscheinlich kroch Amy jetzt ins Bett. Was für ein verlockender Gedanke. Mit einer leichten Beunruhigung registrierte Marc, dass er es vorzog, jetzt lieber allein zu sein. Er wollte einfach keine Vorwürfe mehr hören oder sehen: nicht von Amy, nicht von dieser Jenny mit dem Engelsgesicht, nicht versteckt in den Augen seines Vaters und erst recht nicht von seiner Mutter, die solche Dinge in ihrer gebeugten Haltung, mit leicht eingezogenem Kopf, zum Ausdruck brachte. Noch immer saß er völlig reglos da und seufzte leise. Der Wind spielte mit seinem Haar.
Er erinnerte sich, wie er vor Jahren in ähnlicher Stimmung an dem Ufer eines kleinen Sees in Virginia gesessen hatte. Der Brief seiner Mutter war mitten in dieses friedliche Naturcamp geflattert und hatte ihn damit endgültig gezwungen, der Wahrheit über seine Eltern ins Gesicht zu sehen.
Er wusste längst, was sein Dad alles so trieb. Immer diese ewigen Streitereien, das leise Weinen seiner Mutter, ihr Gesicht, wenn sie völlig verloren mit gefalteten Händen da saß und zu ihrem Gott mit einer Inbrunst betete, zu der ihm jedes Verständnis fehlte. Marc hatte lange versucht, all diese Zeichen zu ignorieren, doch nun, nach diesem Brief, musste er sich damit auseinandersetzen, ob er wollte oder nicht. Erschreckt hatte er festgestellt, wie weh es ihm getan hatte, obwohl er doch wirklich kein Kind mehr gewesen war. Josh hatte ihn verstanden, sich beschützend zwischen ihn und die anderen Mitschüler gestellt und ihn so vor irgendwelchen blöden Bemerkungen bewahrt. Aber auch Josh vermochte es nicht, ihn von der immer weiter steigenden Wut und dem rasenden Zorn, die in ihm tobten, zu befreien. Diese Emotionen brauchten ein Ventil. Marc musste sie herauslassen, wie auch immer. So nahm er jede Gelegenheit dazu wahr, die sich ihm bot.
Noch am selben Abend hatten die Jungen in Erfahrung gebracht, dass einige der Mädchen an einer geschützten Stelle hinter dem Schilfgürtel,
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