Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
Rudel war verschwunden. Armand schloss die Augen und öffnete seine feinen vampirischen Sinne. Es waren wieder fünf gewesen. Vier in der Wohnung plus die Wache beim Abfall. Immer fünf. Sie hatten ein heilloses Durcheinander angerichtet.
Seufzend blickte er sich um. Immerhin nichts, was man nicht wieder aufräumen konnte. Er ging hinunter in den Keller und überprüfte die Tür zu seiner Schlafstatt. Unversehrt. Hierher waren sie nicht vorgedrungen. Falls sie die Kammer überhaupt bemerkt hatten. Mit einem Besen und einem großen Müllsack kehrte er in die oberen Räume zurück, um wieder Ordnung zu schaffen.
Ich stahl mich unbemerkt aus dem Haus. Die Übersetzung der Schriftrolle hatte ich allein zuende gebracht, nachdem Franklin sich entschlossen hatte, sich dem Gemälde zu widmen. Jetzt war ich der Meinung, mir eine kleine Belohnung für meine Mühe verdient zu haben. Den Weg zu Armands Wohnung fand ich inzwischen im Schlaf. Als ich dort ankam, öffnete Armand auf mein erstes Klopfen. Ich wollte ihn gerade überschwänglich begrüßen, als mein Blick auf das Innere der Wohnung hinter ihm fiel. Ein einziges Chaos, und das war noch vorsichtig ausgedrückt. Er hatte gerade mit dem Aufräumen begonnen.
„Was ist denn hier passiert?“ Mir blieb der Mund offen stehen.
„Ach, rien de spécial. Nichts weiter.“ Er winkte ab. „Das waren
Dunkle
. Zu schade, dass ich noch auf der Jagd war, als sie kamen. Ich hätte sie alle in Stücke gerissen. Wenigstens einen habe ich erwischt.“
Er fuhr damit fort, die Wohnung sauber zu machen. Ich half ihm dabei. Scherben von zerbrochenen Gläsern und Vasen, lose Seiten, die aus Büchern gerissen worden waren, und dann dieser Dreck! Als wären Arbeiter aus dem Kohlebergwerk hier gewesen.
„Wer sind denn die
Dunklen
?“
„Eine andere Art von Vampiren. Anders als meinesgleichen.“
Ich hatte nicht gewusst, dass es unterschiedliche Arten von Vampiren gab.
„Angeblich sind sie nur geschaffen worden, damit sie uns irgendwann vernichten. Aber ich halte sie im Grunde für völlig harm-los. Sie kommen immer in Fünfer-Gruppen. So leben sie wohl auch. Allein trifft man sie nie an, weil sie feige sind.“
„Ich verstehe nur Bahnhof.“
Er unterbrach seine Arbeit und nahm mich mit einem liebevollen Lächeln bei den Händen.
„Es gibt zwei Arten von Vampiren, Melissa. Die, zu denen ich gehöre. Und
Die Dunklen
, wie wir sie nennen.
Die Dunklen
leben nicht unter den Menschen. Sie leben in Höhlen, Gräbern, unterirdischen Labyrinthen. Es herrscht ein beständiger Hass zwischen uns. Sie sind uns unterlegen, weil ihr Blut nicht so mächtig ist. Deshalb greifen sie immer in Gruppen an. Bisher haben sie nicht viel Schaden angerichtet. Ein paar junge, schwache Vampire sind ihnen zum Opfer gefallen. Normalerweise verwüsten sie aber lediglich unsere Heimstätten, wenn sie ihnen bei einem Beutezug auffallen. Es heißt, eines Tages werden sie uns vernichten. Aber wie gesagt, das ist nur eine Legende. Ich glaube nicht daran. So mächtig sind sie nicht. Und auch nicht so mutig. Ich denke eher, dass wir sie irgendwann vernichten.“
Ich musste mich setzen. Das war starker Tobak. „Warum? Warum greifen sie euch an oder verwüsten eure Wohnungen?“
„Sie glauben an die ewige Finsternis und Verdammnis. Und unsere Art zu leben ist ihrer Meinung nach verachtenswürdig: In den Reihen der Menschen. Sich als Sterbliche ausgeben. Unsere Opfer betören. In Leidenschaft leben und töten. Und in Leidenschaft mächtige Gefährten erschaffen. In ihren Augen leben wir in Sünde, wenn du so willst. Und sie sind …“, er überlegte, „vielleicht so etwas wie eine Sekte. Wenn du mich fragst, neiden sie uns einfach unser Leben. Sie wären gern wie wir. Ne t’inquiète pas. Sorg dich nicht. Solange sie nicht mehr tun als bisher, kümmert es mich nicht.“
„Aber sie haben dein Haus verwüstet!“
„Nichts, was man nicht wieder aufräumen könnte.“
„Und wenn sie wiederkommen? Oder wirklich versuchen dich zu töten?“
„Die kommen nicht wieder. Die kommen nie an einen Ort zurück, wo sie einmal gewütet haben. Und sie sind nur deshalb hier herein gekommen, weil sie sicher waren, dass ich nicht da war. Normalerweise fürchten sie uns.“
Ich hatte Angst um Armand, aber er konnte mich schließlich beruhigen. Sie schienen sogar immer weniger zu werden, denn man spürte ihre Gegenwart längst nicht mehr so oft wie früher. Da Armand in diesen Dingen viel mehr Erfahrung hatte als ich,
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