Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
des Maugrimkäfers gesteckt hatte, um zu fressen. Als hätte sie die Aufmerksamkeit des Temari gespürt, der sie beobachtete, hob sie unvermittelt den Kopf und starrte in seine Richtung. Ein leises Knurren entkam ihrer blutigen Schnauze, bevor sie sich wieder ihrer Beute widmete.
Der Mann neben Enris schüttelte sich schaudernd. »Das ist ja widerlich.«
Enris fuhr herum. »Wirklich? Widerlich oder nicht, sie hat euch allen geholfen und dabei ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Lasst euch das eine Lehre sein, und urteilt in Zukunft nicht mehr so schnell nach dem äußeren Anschein!«
Der Mann senkte seinen Blick, aber es war ihm anzumerken, dass er seine Meinung nicht geändert hatte, nur weil ihm jemand über den Mund gefahren war. Jahanila spürte Enris’ Ärger. Erleichterung überkam sie. Dem Jungen war gerade überdeutlich vor Augen geführt worden, dass er und seine Voronfreundin letztendlich nicht unter diese Temari passten, die seine Ahnen waren. Um so leichter würde er nun vielleicht zum Mitkommen zu bewegen sein.
»Lass mich mit Neria Verbindung aufnehmen«, sagte sie zu ihm. »Ich kann ihr dabei helfen, bewusst ihre Gestalt in Temariform zurückzuwechseln. Als Wölfin können wir sie nur schwer dazu bringen, sich von mir tragen zu lassen.«
»Einverstanden«, stimmte Enris nach einem Moment des Schweigens achselzuckend zu. »Ich suche ihre Kleider. Bestimmt hat sie sie weiter hinten abgestreift.«
Er wandte sich an Glabra. »Die Zisterne dürfte fürs Erste sicher sein. Vielleicht dringen noch mehr versprengte Maugrim, die den Serephin durch die Maschen geschlüpft sind, hier ein. Denkt ihr, dass ihr euch auch ohne uns weiter verteidigen könnt?«
»Das schaffen wir.« Glabra wischte sich mit der bloßen Hand über seine schweißnasse Glatze. »Ich kann euch nicht genug dafür danken, dass ihr uns wachgerüttelt habt!«
»Die Idee mit dem Speer war großartig!«, lobte ihn einer der jungen Männer.
»Leider hat sie Denir nicht gerettet.« Glabra warf einen schmerzvollen Blick auf den Leichnam des Burschen, der von einem der Maugrim zerquetscht worden war. »Schaffen wir ihn zurück ins Lager. Tanda holen wir, wenn das Feuer heruntergebrannt ist.«
Sie hoben den Toten hoch und zogen sich mit Enris zurück, der nach Nerias Kleidern Ausschau hielt.
Jahanila war indessen in den Geist der Wölfin eingedrungen. Das gewaltige Ungeheuer hatte seinen Kopf erhoben und starrte die Drachenfrau mit leeren roten Augen an, reglos wie eine furchterregende Wächterstatue am Eingang eines Tempels, die alles Unheil davon abhalten sollte, Einlass zu finden.
Komm zurück, Neria! Wir brauchen dich, Voronfrau. Wir brauchen dich in deiner Temarigestalt. Lass das Tier wieder zurück in die Tiefen deines Geistes sinken, in die Nacht, aus der du es gerufen hast!
Unvermittelt schloss die Wölfin ihre Augen und sank in sich zusammen, eingerollt wie ein schlafendes Tier. Jahanila blickte sie weiter an, beobachtete die allmähliche Veränderung, die mit der Bestie vonstatten ging. Der Körper des Tieres wurde durchscheinend, als fülle er sich mit einer milchig schimmernden Flüssigkeit.
Die dichten schwarzen Haare, die seinen Körper über und über bedeckten, zogen sich in die Haut der Wölfin zurück. Gleichzeitig schrumpfte ihre Gestalt, wurde kleiner und veränderte sich zusehends. Die scheinbar aus flüssigem Wachs geformte lange Wolfsschnauze zog sich zusammen. Das Gesicht der auf dem Boden liegenden Gestalt nahm wieder die Züge der schwarzhaarigen, blassen Frau an, die Jahanila als Neria kennengelernt hatte.
All dies geschah in nur wenigen Augenblicken. Enris kam gerade rechtzeitig zurück auf den Steg, um noch zu sehen, wie der milchige Schein, der von Nerias verändertem Körper ausging, wieder in den Poren ihrer nackten Haut versickerte und verschwand. Nichts Übernatürliches oder Erschreckendes war mehr an ihr, nur die Gestalt einer unbekleideten jungen Frau, die bewusstlos und mit angezogenen Beinen auf den Steinplatten lag. Um sie herum waren die Flammen der Zisterne beinahe völlig heruntergebrannt und ließen nur noch die verkohlten Körper der Getöteten im Wasser zurück, rauchende Felsen, selbst im Tod noch unheimlich.
Enris hielt sich Nerias Kleider, die sie von den Dunkelelfen erhalten hatte, vors Gesicht und hustete krampfhaft. Das brennende Öl hatte einen großen Teil der frischen Luft in der Zisterne verbraucht. Dichter, schmutziger Rauch hing so übel nach verbranntem Fleisch stinkend im Inneren
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