Russendisko
Ausländerfeindlichkeit, indem man die Anzahl der Ausländer senkt.« Dagegen dann: »Man reduziert sie, indem man die Feindbilder im Bewusstsein der Bevölkerung mit Hilfe der Medien verschiebt und statt der Ausländer etwa Unternehmer zur Zielscheibe macht.«
Ähnlich funktioniert es auch mit den »Gewichtsproblemen«: Man kann sein Gewicht auf natürliche Weise reduzieren, indem man weniger isst oder eben anders, beispielsweise durch Fettabsaugen. Zwei Wochen lang wird das Thema diskutiert, dann wird es aus dem Blatt gekippt. Schon steht ein neues Problem zur Debatte. Es wird dadurch nichts gelöst, aber der MeinungsaustauschhinterlässtSpuren:Die
Ausländerfeindlichkeit war vorübergehend ein großes Thema, und plötzlich entsteht ein Gefühl der Zusammengehörigkeit bei vielen, die nicht zusammengehören und früher vielleicht gar nichts voneinander wissen wollten - Araber, Juden, Chinesen, Türken -, weil sie genau diese »Ausländer« sind. Hier ein Beispiel aus dem Leben: Ein russisches Theater, Nostalgia, versucht es mit Puschkins »Mozart und Salieri«. Mein Freund, der Schauspieler aus Smolensk, sollte Salieri
spielen, einen bösen, depressiven Komponisten, der Mozart am Ende der Tragödie aus Neid und Frust vergiftet. Dabei ist mein Freund ein harmloser Typ, der seit fünf Jahren mit einer Französin, ebenfalls Schauspielerin, verheiratet ist und nicht einmal einer Fliege etwas zu Leide tun kann. Man sieht es ihm sofort an. Der Regisseur sagte zu ihm: »Greif tief in dich hinein, entdecke die dunklen Seiten deiner Seele. In jedem von uns steckt ein Verbrecher«, und so weiter. Mein Freund, der Schauspieler aus Smolensk, gab sich ordentlich Mühe, setzte sich an die Bar, griff tiefer und tiefer in sich hinein. Nach dem achten Bier wurden die ersten seelischen Abgründe spürbar, das Böse kam hoch, und er wurde zum Salieri. Als solcher ging er nicht zu Frau und Kind, die seit mehreren Stunden verzweifelt auf ihn warteten, sondern stieg in das Auto seiner Frau und fuhr ohne Führerschein mit überhöhter Geschwindigkeit von der falschen Seite in eine Einbahnstraße Richtung Wedding. Unterwegs riss er den Seitenspiegel eines Mercedes ab. Der Mercedesfahrer fuhr ihm nach und stoppte ihn. Ein Polizeiwagen kam zufällig ebenfalls in der Nähe vorbei. Für meinen Freund, den Schauspieler aus Smolensk, hätte dieser Zwischenfall die Ausweisung bedeuten können.
»Wie heißt du?«, fragte ihn der Mercedesfahrer, ein Türke. »Salieri!«, antwortete mein Freund. »Dachte ich mir gleich, dass du Ausländer bist.« Anstatt die Polizei zu rufen, brachte der Türke meinen betrunkenen Freund nach Hause und bekam von dessen Frau, der französischen Schauspielerin, hundert Mark für alles zusammen: für den Mann und den zerschlagenen Spiegel, was wirklich nicht viel war. Am nächsten Tag kam der Türke wieder. Es entwickelte sich eine Freundschaft, und der Bruder der Frau, ebenfalls ein Franzose, will nun einen Film über diesen Zwischenfall drehen. So gibt eine Mediendebatte ganz nebenbei vielen Menschen die Chance, sich neu zu sehen, nicht als Türke oder Russe oder
Äthiopier, sondern als ein Teil der großen Ausländergemeinschaft in Deutschland, und das ist irgendwie toll.
Russischer Telefonsex
Es gibt wirklich viele aufregende Sachen in Berlin: den neuen Reichstag neben dem sowjetischen Ehrenmal, die neugeborenen Elefanten im Friedrichsfelder Tierpark, russische Telefonsex-Nummern... Dabei versucht eine verzerrte Frauenstimme vom Tonband einem Trost zu spenden: »Mein Freund, ich weiß, wie einsam du dich fühlst in dieser grausamen, fremden Stadt, wo du jeden Tag durch die Straßen voller Deutscher läufst und niemand lächelt dir zu. Mach deine Hose auf, wir nostalgieren zusammen!« Auf mich wirkt der russische Telefonsex, ehrlich gesagt, deprimierend. Gäbe es in der Stadt auch noch eine türkische Telefonsex-Nummer, könnte man sie vergleichen und daraus bestimmt eine Menge wertvoller soziologischer Erkenntnisse ableiten. Die russische Telefonsex-Nummer ist jetzt auch schon den Einheimischen zugänglich: Die Zeitung Russkij Berlin hat eine Kurzversion auf Deutsch ins Internet gestellt. Und wie unterscheidet sich der russische von normalem deutschem Telefonsex?
In erster Linie dadurch, dass die russischen Mädels auch mal selbst anrufen. Einmal habe ich eine solche Unterhaltung auf Kassettenrekorder aufgenommen und kann sie nun jederzeit noch einmal genießen, ohne dafür DM 3,64 pro Minute zu bezahlen.
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