Russka
mich nach Russka geschickt.« Sie lachte fröhlich. »Seht«, rief sie plötzlich, »da ist eine Kirche. Gehen wir hinein, und beten wir!« Noch bevor sie an diesem Tag auseinandergingen, hatte Andrej bei sich beschlossen, daß es Zeit sei zu heiraten. Ob Marjuschka die Richtige war?
Wegen seiner Geschäfte mußte er sie jedoch einige Tage aus seinen Gedanken verbannen. Am dritten Tag hatte er ein seltsames Erlebnis. Er kam aus der Weißen Stadt und bog um eine Ecke, als er einen Wagen sah, den eine Bande mitten auf der Straße angehalten hatte und nun attackierte. Die Bande wurde von zwei Priestern angeführt. »Was ist hier los?« fragte er einen der Umstehenden. »Das sind Glaubensfanatiker«, grinste dieser. »Und sie haben gefunden, was sie suchten.«
Die Bande holte eine Laute, eine Balalaika und andere Musikinstrumente aus dem Wagen.
»Feuer!« schrie einer der Priester. »Verbrennt das Satanswerk!« Kurz darauf stand der Wagen in Flammen. Die inzwischen versammelten Zuschauer gaben lauthals ihre Zustimmung. Welch ein Land war das, wo Priester Musikinstrumente verbrannten? Andrej öffnete den Mund, um einen Fluch auszustoßen, da spürte er eine Hand auf seinen Lippen, eine Frauenhand. Und schon hörte er eine bekannte Stimme, die über seine Schulter flüsterte. »Seid vorsichtig, Kosak.« Marjuschka fuhr mit den Fingerspitzen über seine Lippen. »Ist Euch denn nicht klar, Herr Kosak, daß in der Menge Lauscher sind?« fragte sie leise. »Sie erzählen es den Priestern, wenn sie Euch fluchen hören.«
»Und dann?«
Sie zuckte die Achseln. »Wer weiß? Vielleicht die Knute.« Die russische Lederpeitsche war ein fürchterliches Strafwerkzeug. »Sind diese Glaubensfanatiker so streng, daß sie Musikinstrumente verbrennen und Fluchen mit der Knute bestrafen?«
»Aber ja. Sie sind fest entschlossen, uns Russen von der Hurerei und dem Trunk zu heilen. Jede Art von Vergnügen ist verboten.« Sie lachte.
Andrej runzelte die Stirn. War dieser unnachsichtige Glaubensfanatismus jene Orthodoxie, für die er kämpfte? »Ist jemand in Eurer Wohnung?« fragte Marjuschka. Andrej wußte, daß niemand dort war. »Was ist, wenn man uns erwischt? Die Knute?«
Sie lächelte. »Niemand wird uns entdecken.« Am nächsten Tag schien die Frühlingssonne am blauen Himmel. Mittags setzte Tauwetter ein. Der Winter ging zu Ende. Die graubraunen Straßen waren aufgeweicht. Fadendünne Eiszapfen hingen von den glänzenden Dachtraufen. Auf den Straßen standen Pfützen.
Draußen war Frühling, und drinnen tauschten Andrej und das Mädchen leidenschaftliche Zärtlichkeiten aus. Marjuschkas Körper war schlank und zugleich kräftig. Helle Sommersprossen sprenkelten ihre schlanken Beine und die kleinen Brüste. Sie besuchte ihn nachmittags, und sie lagen auf seinem Bett in dem dämmerigen Raum, der von einem großen Ofen fast überheizt wurde. So verbrachten sie jeden Nachmittag, bis draußen die Dämmerung sich in Dunkelheit verwandelte. Außer gelegentlichen Schritten auf der Straße und dem leisen Zischen des heißen Ofens hörten sie nur das Tropfen der schmelzenden Eiszapfen an der Dachtraufe. Manchmal seufzte sie: »Bald wirst du weg sein, mein Kosak.«
»Denke nicht daran, mein Kätzchen.«
»Das sagst du so einfach. Du sitzt nicht in der Falle.« Darauf wußte er nichts zu sagen.
»Manchmal wünsche ich mir, daß Ivan stirbt«, meinte sie nachdenklich. »Aber was wäre dann? Ich wüßte ja nicht einmal, wohin.« Dann lachte sie spöttisch. »Alles war so fein geregelt mit dem Sankt-Georgs-Tag, aber den gibt es nicht mehr.« Andrej wußte davon. Vor kurzem war per Gesetz der Sankt-Georgs-Tag abgeschafft worden. Nun war der Kodex des derzeitigen Zaren Aleksej in Kraft getreten. Zuvor hatten die russischen Bauern, zumindest theoretisch, einmal im Jahr die Möglichkeit, den Herrn zu wechseln.
Doch der Dienstadel, die Leute mit bescheidenem Besitz, waren gegen diese Regelung. Da sie unablässig in Geldnot waren, brauchten sie billige Arbeitskräfte, um die Forderungen der Kirche und der Magnaten erfüllen zu können.
Alles in allem war der Dienstadel eine bedeutende Macht. Er hielt das Land in Ordnung; er konnte in jedem Ort Truppen ausheben. Kurz und gut – während im übrigen Europa das neue Zeitalter anbrach, hielt sich in dem rückständigen Moskauer Reich ein im wesentlichen feudaler Staat.
Die Aufstände von 1648, als die Verwaltung kurzzeitig die Kontrolle über Moskau verlor, hatten Aleksej bewußt gemacht, daß er
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