Sabihas Lied
springen würde. Als der Hund Bruno erblickte, gab er ein kurzes, warnendes Bellen von sich.
»Schon gut, Tolstoi«, sagte Bruno. Er kam sich vor wie ein Dieb. Der Hund knurrte leise. Von John oder Sabiha war weit und breit keine Spur. Auf dem Herd stand ein dampfender Topf mit klapperndem Deckel. Bruno lieà den Vorhang fallen, ging zu seinem Tisch zurück und stellte den Teller hin, ohne ihn richtig loszulassen. SchlieÃlich riss er sich doch los und ging zur vorderen Tür hinaus.
Vor dem Café blieb er eine Weile auf dem schmalen Bürgersteig stehen. Zwischen ihm und John Patterners Frau war etwas vorgefallen. Was es genau war, wusste er nicht. Aber es war ganz bestimmt nicht nichts. Er bog um die Ecke, ging zu seinem Lieferwagen und setzte sich ans Steuer. Was ihm da am helllichten Tag durch den Kopf spukte, war der blanke Wahnsinn. Er nahm eine Dose Hustenbonbons aus dem Handschuhfach. Sorte Brombeere. Angela sorgte immer für Nachschub. Er steckte sich ein lila Bonbon in den Mund und lutschte daran. Sofort breitete sich süÃer Brombeergeschmack aus. Bruno beugte sich über das Steuer, schaute auf das Gässchen, lutschte kräftig und versuchte, jeden Gedanken an Sabihas Hüfte zu verdrängen. Aber der Klang ihrer sanften, einladenden Stimme geisterte ihm durch den Kopf wie ein Lied, und er konnte ihn nicht verstummen lassen. Er wollte ihn auch gar nicht verstummen lassen. Wieder schloss er die Augen, lutschte wie wild und dachte daran, wie sich ihre Hüfte an seine Schulter geschmiegt hatte.
Er schluckte den Bonbonrest hinunter und schlug die Augen wieder auf. Was hatte er nur getan, dass Johns Frau sich ihm gegenüber so verhielt? Bruno war sich sicher, dass er niemals etwas getan oder gesagt hatte, das Sabiha anzüglich oder unschicklich hätte vorkommen können. Er hatte ihr keinerlei geheime Signale gegeben. Niemals. Allein die Vorstellung war für ihn schockierend. Was wäre, wenn Angela davon Wind bekäme? Nicht auszudenken. Oder war das alles nur Einbildung? Ein Missverständnis seinerseits? Hatte Sabiha nicht den geringsten Hintergedanken gehabt? Wollte sie ihm nur eine nette kleine Ãberraschung bereiten, weil er so ganz allein im Speiseraum gesessen hatte? Vielleicht hatte sie seine Schulter nur zufällig mit ihrer Hüfte gestreift. Es war aber mehr gewesen als ein bloÃes Streifen! Das wurde ihm jetzt deutlich bewusst: Sie hatte sich mit der Hüfte an seine Schulter gelehnt ! Er hatte den Druck gespürt, zwar nur ganz leicht, aber eindeutig. Sie hatte genau gewusst, was sie da tat. Es war kein Zufall gewesen. Sie hatte ihm ein Zeichen gegeben. Ein starkes Zeichen. Aber wofür, um Himmels willen? Die Berührung ihrer warmen Hüfte, die er durch den Stoff seines Baumwollhemds gefühlt hatte, war unendlich verführerisch gewesen. »Heilige Maria, Mutter Gottes!«, rief er und bekreuzigte sich, bevor er endlich den Motor anlieÃ.
Bruno fuhr aus der Gasse und bog links ab. Als er am Chez Dom vorbeifuhr, beugte er sich ein wenig hinunter, um durch das Caféfenster zu spähen. John und Sabiha saÃen nicht an ihrem Tisch. Der Speiseraum war leer. Er fuhr weiter, ohne zu hupen. Noch lauter als das Dröhnen des Motors war sein wütender Aufschrei: »Sie hat sich mit ihrer Hüfte an mich gepresst !« Warum? Was konnte sie schon im Sinn haben, wenn nicht das ?
Während Bruno sich durch den Verkehr voranarbeitete, malte er sich, allen guten Vorsätzen und Ãngsten zum Trotz, Sabihas nackte Haut unter dem Rock aus, an der Stelle, die seine Schulter berührt hatte. Das war nun wirklich Wahnsinn, der sein Herz zum Rasen brachte, aber da er schon damit angefangen hatte, konnte er den Gedanken an ihre Nacktheit nicht unterdrücken, genauso wenig wie die Frage nach ihren Absichten. Am Ziel angelangt, parkte er, stieg aus und öffnete die Ladetüren. Er kletterte in den Wagenraum, um eine Kiste Black Russian und eine Kiste Father Tom zu holen, stapelte sie übereinander und trug sie hinaus, gegen seinen kräftigen, muskulösen Bauch gestützt. Dann blieb er mit beiden Kisten vor dem Lebensmittelladen stehen. Auf einmal erkannte er, wie schwierig es am Abend werden würde, wenn er wie immer zu Angela in die Küche kommen und sie küssen würde. Er hörte sie schon fragen: Na Liebling, wie war dein Tag? Hast du in der GroÃstadt was Spannendes erlebt? Wäre er dann in der Lage, mit
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