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Sabihas Lied

Sabihas Lied

Titel: Sabihas Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Miller
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fester Stimme zu antworten: Nein, mein Schatz, es war nichts Besonderes los. Und bei dir? Waren die Kinder schön brav?
    Zum allerersten Mal in ihrer langen Ehe würde er Angela belügen! Und das war nur der Anfang. Später, wenn die Kinder schon schliefen und sie beide im Bett lagen, würde sie sich zu ihm drehen und seine Hand nehmen und fragen: Was ist los, Liebster? Sag schon! Was ist heute vorgefallen? Was bedrückt dich? Denn sie würde es wissen. Oh ja, Angela würde wissen, dass etwas vorgefallen war. Sie würde es aus seiner Stimme heraushören, an seinen Augen ablesen, aus seinem Verhalten schließen. Es war unmöglich, Angela etwas vorzumachen. Sie wusste immer Bescheid. Er fing an zu schwitzen.
    Brunos Gedanken rasten immer noch, als er durch die offene Ladentür trat. Er rief nach dem Besitzer, mit einer Stimme, die in seinen Ohren ganz fremd klang. Der Laden war vollgestopft und roch intensiv nach Orangen. Er fand ein freies Plätzchen, um die Tomatenkisten abzustellen, dann nahm er seine Mütze ab und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß vom Gesicht. Wie seltsam Sabiha ihn angesehen hatte, als er mittags in die Caféküche gekommen war. Wie ungewöhnlich ihre Bemerkung gewesen war. Wie sie ihm direkt in die Augen geblickt hatte, als wollte sie ihm eine Frage stellen. Das war kein Zufall gewesen. Er hatte sich das auch nicht eingebildet. Es war tatsächlich passiert. Es war echt!
    Er ging wieder hinaus und stand noch eine Weile mit der Hand am Fahrertürgriff. Was sollte er davon halten? Er wusste genau, was er fühlte, was sein Körper fühlte. Diese Reaktion war unmissverständlich. Aber was sollte er davon halten? Wie sollte er sich verhalten ? Er riss die Fahrertür auf, sprang in den Wagen und ließ mit einem Fluchen den Motor an. Jetzt wollte er nur noch nach Hause, er sehnte sich nach der stürmischen Begrüßung durch seine begeistert kreischenden Kinder, nach dem Abendessen mit Angela.

W ie jeden Freitag um kurz nach fünf Uhr früh stand Sabiha möglichst leise auf, um John nicht zu wecken, und zog sich den Bademantel über ihr Nachthemd. Es war noch dunkel, durch die Vorhangkanten drang nur der gelbe Schein der Straßenlaterne, die vor dem Lebensmittelladen an der Ecke stand. Sabiha stützte sich mit einer Hand am Kopfende ab, während sie mit den Zehen nach ihren Pantoffeln tastete, dann ging sie nach unten und durch die Hintertür zur Außentoilette. Nachdenklich saß sie auf der Klobrille, den Blick zur Tür gerichtet, und rechnete noch einmal nach. Dieser Freitag war der vierzehnte Tag in ihrem Zyklus. Sie hatte sich alles genau zurechtgelegt. Und sie würde nicht einmal von ihrem gewohnten Tagesablauf abweichen müssen.
    Die Tür stand halb offen, so dass sie einen schmalen Ausschnitt des Hintergässchens sehen konnte. Um diese Zeit war es vollkommen still und verlassen. Sabiha zitterte vor Kälte. Im Traum hatte sie gehört, wie das Baby nach ihr rief, das herzzerreißende Wimmern ihres Kindes hallte in ihrem Kopf wie das Echo eines uralten Schmerzes. Davon war sie aufgewacht und hatte gewispert: »Nicht weinen, Kleines. Bald liegst du in den Armen deiner Mutter.«
    Wie jeden Morgen setzte sie Kaffee auf, als ginge ihr Leben seinen vertrauten Gang, als stünde ihre Welt nicht unmittelbar davor, völlig aus der Bahn geworfen zu werden. Sie wärmte sich die Hände über der Gasflamme, dann erhitzte sie Milch in der kleinen Kupferkanne, die Houria eigens für diesen Zweck bereitgehalten hatte, und vor ihr möglicherweise Dom. Als der Kaffee fertig war, setzte sie sich an den Küchentisch und umfasste die heiße Schale mit beiden Händen. Sie starrte zum Herd, ohne ihn zu sehen, hatte nur eine verschwommene Vorstellung dessen, was im Anschluss passieren sollte. Etwas, vor dem sie zurückscheute und dem sie sich dennoch aussetzen wollte.
    Sabiha trank einen Schluck Kaffee, dann stellte sie die Schale hin, brach sich ein Stück von einem der Sesamplätzchen ab, die sie am Vortag gebacken hatte, und tunkte es ein. Sie dachte an ihren Vater, der in seinem Holzsessel mit den blauen Kissen im Rücken wartete. Er wartete auf den Moment, an dem seine Lieblingstochter zurückkehren und ihm ihr Kind in den Arm legen würde. Danach könnte er in Frieden sterben. Und wenn er gestorben war, würden ihre Onkel kommen und ihn bestatten. Ihr Vater war nicht

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