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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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Stimme)
    Oh mein Gott, ich habe gewusst, dass dieses Theater ein blutiges Ende nehmen muss, dass er und ich bestraft werden, weil wir mitgespielt haben. Das Unheil stand am Himmel.
    (Bleibt vor dem Tisch stehen und spricht weiter, ohne MARTHA anzusehen.)
    Er wollte, dass Sie ihn wiedererkennen, er wollte heimkehren, Ihnen das Glück ins Haus bringen, aber er konnte die passenden Worte nicht finden. Und während er nach Worten suchte, wurde er getötet. (Sie fängt zu weinen an.) Und Sie, beide von Sinnen, blind angesichts des herrlichen Sohnes, der nach Hause kam … denn er war herrlich, und Sie wissen nicht, was für ein hohes Herz, was für eine große Seele Sie getötet haben! Er hätte Ihr Stolz werden können, so, wie er meiner war. Aber nein, Sie waren seine Feindin, Sie sind seine Feindin, Sie sind imstande, ungerührt über all dies zu sprechen, dabei müssten Sie auf die Straße rennen und schreien wie ein Tier!
    MARTHA
    Urteilen Sie nicht, Sie wissen nicht alles. Jetzt gerade ist meine Mutter schon bei ihrem Sohn. Das Wasser beginnt sie zu zersetzen. Bald wird man sie entdecken, und sie werden in derselben Erde vereint. Ich weiß nicht, warum ich noch schreien sollte. Ich habe ein anderes Bild vom menschlichen Herzen, und dass Sie es wissen, Ihre Tränen widern mich an.
    MARIA (wendet sich ihr hasserfüllt zu)
    Das sind Tränen um die Freuden, die auf ewig verloren sind. Die sind besser für Sie als der tränenlose Schmerz, der mich bald erfüllen wird und der Sie, ohne zu zittern, töten könnte.
    MARTHA
    Das kann mich nicht beeindrucken. Was wäre das schon? Ich habe genug gesehen und gehört und bin entschlossen zu sterben. Aber ich werde Mutter und Bruder allein lassen. Was soll ich in ihrer Gesellschaft? Ich lasse sie allein mit ihrer wiedergefundenen Liebe, ihrer blinden Zärtlichkeit. Weder Sie, seine Frau, noch ich haben mehr mit beiden zu tun, sie haben uns für immer verlassen. Zum Glück habe ich mein Zimmer und kann dort allein sterben.
    MARIA
    Sterben Sie nur, die ganze Welt mag einstürzen, ich habe meinen Liebsten verloren. Jetzt muss ich in der schrecklichen Einsamkeit leben, wo die Erinnerung eine Folter ist.
    MARTHA (stellt sich hinter sie und redet über sie weg)
    Nun mal nicht übertreiben. Sie haben Ihren Mann verloren und ich meine Mutter. Alles in allem sind wir quitt. Aber Sie haben ihn nur einmal verloren, nach Jahren des Glücks, und ohne dass er Sie verstoßen hat. Mich hat meine Mutter verstoßen. Jetzt ist sie tot, ich habe sie zweimal verloren.
    MARIA
    Er wollte Ihnen beiden sein Vermögen bringen, Sie glücklich machen. Daran dachte er, als er allein in seinem Zimmer lag und Sie schon seinen Tod planten.
    MARTHA (plötzlich verzweifelt)
    Auch mit Ihrem Mann bin ich quitt, denn ich habe dieselbe Verzweiflung erlebt wie er. Wie er dachte ich, ich hätte ein Zuhause. Ich dachte, das Verbrechen sei unser Heim und würde meine Mutter und mich für ewig vereinen. An wen auf der Welt sollte ich mich halten als an diejenige, die gemeinsam mit mir getötet hat? Aber das war ein Irrtum. Auch das Verbrechen ist Einsamkeit, selbst wenn Tausende es gemeinsam begehen. Es ist gerecht, dass ich allein sterbe, nachdem ich allein gelebt und allein getötet habe.
    ( MARIA dreht sich tränenüberströmt zu ihr. MARTHA weicht zurück, spricht wieder mit harter Stimme.)
    Fassen Sie mich nicht an, habe ich gesagt. Beim Gedanken, eine menschliche Hand könnte mir vor meinem Tod ihre Wärme aufzwingen, beim Gedanken, so etwas wie die widerliche Zärtlichkeit der Menschen könnte mich noch verfolgen, steigt mir das rasende Blut zu Kopf. (Sie stehen einander sehr nah gegenüber.)
    MARIA
    Keine Angst. Sterben Sie, wie Sie wollen. Ich bin blind, ich sehe Sie nicht mehr! Ihre Mutter und Sie werden nie mehr als flüchtige Gesichter für mich sein, gesehen und verloren bei einer Tragödie, die nie enden wird. Ich empfinde weder Hass noch Mitleid für Sie. Ich kann niemanden mehr lieben oder verabscheuen. (Schlägt unvermittelt die Hände vor das Gesicht) Ich habe ja noch kaum Zeit gehabt, zu leiden oder mich aufzulehnen. Das Unglück ist größer als ich.
    MARTHA (hatte sich abgewandt und war einige Schritte auf die Tür zugegangen; geht jetzt zu MARIA zurück)
    Aber noch nicht groß genug, denn es hat Ihnen Tränen gelassen. Wie ich sehe, habe ich noch etwas zu tun, bevor ich Sie für immer verlasse. Ich muss Sie die Verzweiflung lehren.
    MARIA (schaut sie entsetzt an)
    Lassen Sie mich, gehen Sie weg und

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