Sämtliche Werke
Mendelssohn, der Schöpfer dieses Instituts sei. Berlin hat lange ein solches entbehrt. Nicht allein Kaufleute, sondern auch Beamte, Gelehrte und Personen aus allen Ständen besuchen die Börsenhalle. – Besonders anziehend ist das Lesezimmer, worin ich über hundert deutsche und ausländische Journale vorfand. Auch unsern »Westfälischen Anzeiger« sah ich dort. Ein wissenschaftlich gebildeter Mann, Dr. Böhringer, führt die Aufsicht über dieses Zimmer und weiß sich dem Besucher desselben durch zuvorkommende Artigkeit zu verpflichten. – Josty besorgt die Restauration und die Konditorei. Die Aufwärter tragen alle braune Livreen mit goldnen Tressen, und der Portier imponiert besonders durch seinen großen Marschallstab. – Die Bauten Unter den Linden, wodurch die Wilhelmstraße verlängert wird, haben raschen Fortgang. Es werden herrliche Säulengänge. Diese Tage wurde auch der Grundstein zu der neuen Brücke gelegt. – In der musikalischen Welt ist es sehr still. Es geht der Capitale de la musique wie jeder andern Capitale; man konsumiert in derselben, was in der Provinz produziert wird. Außer dem jungen Felix Mendelssohn, der, nach dem Urteile sämtlicher Musiker, ein musikalisches Wunder ist und ein zweiter Mozart werden kann, wüßte ich unter den
hier lebenden
Autochthonen Berlins kein einziges Musikgenie aufzufinden. Die meisten Musiker, die sich hier auszeichnen, sind aus der Provinz oder gar Fremde. Es macht mir ein unaussprechliches Vergnügen, hier erwähnen zu müssen, daß unser Landsmann Joseph Klein, der jüngere Bruder des Komponisten, von dem ich in meinem vorigen Briefe sprach, zu den größten Erwartungen berechtigt. Dieser hat vieles komponiert, das von Kennern gelobt wird. Nächstens werden Liederkompositionen von ihm erscheinen, die hier großen Beifall finden und in vielen Gesellschaften gesungen werden. Es liegt eine überraschende Originalität in den Melodien derselben, sie sprechen jedes Gemüt an, und es ist vorauszusehen, daß dieser junge Künstler einst einer der berühmtesten deutschen Komponisten wird. – Spontini verläßt uns auf eine lange Zeit. Er reist nach Italien. Er hat seine »Olympia« nach Wien geschickt, die aber dort nicht aufgeführt wird, weil sie zu viele Kosten verursache. – Die italienische Buffone haben sich hier nur noch einige Tage aufgehalten. – Unter den Linden sind Wachsfiguren zu sehen. – Auf der Königsstraße, Poststraßenecke, werden wilde Tiere und eine Minerva gezeigt. – Fonks Prozeß ist hier ebenfalls ein Thema der öffentlichen Unterhaltung. Die sehr schön geschriebene Broschüre von Kreuser hat hier zuerst die Aufmerksamkeit auf denselben geleitet. Hierauf kamen noch mehrere Broschüren her, die alle für Fonk sprachen. Hierunter zeichnete sich auch aus das Buch vom Freiherrn v. d. Leyen. Diese Bücher, nebst den in der »Abendzeitung« und im »Konversationsblatte« enthaltenen Aufsätzen über den Fonkschen Prozeß und dem Werke des Angeklagten selbst, verbreiteten hier eine günstige Meinung für Fonk. Personen, die auch heimlich
gegen
Fonk sind, sprechen doch öffentlich für ihn, und zwar aus Mitleiden gegen den Unglücklichen, der schon so viele Jahre gelitten. In einer Gesellschaft erwähnte ich die fürchterliche Lage seines schuldlosen Weibes und die Leiden ihrer rechtschaffenen, geachteten Familie, und wie ich erzählte, man sage, daß der Kölner Pöbel Fonks arme, unmündige Kinder insultiert habe, wurde eine Dame ohnmächtig, und ein hübsches Mädchen fing bitterlich an zu weinen und schluchzte: »Ich weiß, der König begnadigt ihn, wenn er auch verurteilt wird.« Ich bin ebenfalls überzeugt, daß unser gefühlvoller König sein schönstes und göttlichstes Recht ausüben wird, um so viele gute Menschen nicht elend zu machen; ich wünsche dieses ebenso herzlich wie die Berliner, obschon ich ihre Ansichten über den Prozeß selbst nicht teile. Über letztern habe ich erstaunlich viele Meinungen ins Blaue hinein räsonieren hören. Am gründlichsten sprechen darüber die Herrn, die von der ganzen Sache gar nichts wissen. Mein Freund, der bucklichte Auskultator, meint: wenn er am Rhein wäre, so wollte er die Sache bald aufklären. Überhaupt meint er, das dortige Gerichtsverfahren tauge nichts. »Wozu«, sprach er gestern, »diese Öffentlichkeit? Was geht es den Peter und den Christoph an, ob Fonk oder ein anderer den Cönen umgebracht. Man übergebe mir die Sache, ich zünde mir die Pfeife an, lese die Akten durch,
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