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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Sorte, die Edelleute, verdienen hier in Polen die Aufmerksamkeit des Reisenden. Und wahrlich, ich sollte denken, wenn man einen kräftigen, echten polnischen Edelmann oder eine schöne edle Polin in ihrem wahren Glanze sieht, so könnte dieses die Seele ebenso erfreuen wie etwa der Anblick einer romantischen Felsenburg oder einer marmornen Mediceerin. Ich lieferte Ihnen sehr gerne eine Charakterschilderung der polnischen Edelleute, und das gäbe eine sehr kostbare Mosaikarbeit von den Adjektiven: gastfrei, stolz, mutig, geschmeidig, falsch (dieses gelbe Steinchen darf nicht fehlen), reizbar, enthusiastisch, spielsüchtig, lebenslustig, edelmütig und übermütig. Aber ich selbst habe zu oft geeifert gegen unsre Broschürenskribler, die, wenn sie einen Pariser Tanzmeister hüpfen sehen, aus dem Stegreif die Charakteristik eines Volkes schreiben – – – – – – – und die, wenn sie einen dicken Liverpooler Baumwollnhändler jähnen sahen, auf der Stelle eine Beurteilung jenes Volkes liefern – – – – – – – Diese allgemeinen Charakteristiken sind die Quelle aller Übel. Es gehört mehr als ein Menschenalter dazu, um den Charakter eines einzigen Menschen zu begreifen: und aus Millionen einzelnen Menschen besteht eine Nation. Nur wenn wir die Geschichte eines Menschen, die Geschichte seiner Erziehung und seines Lebens, betrachten, wird es uns möglich, einzelne Hauptzüge seines Charakters aufzufassen. – Bei Menschenklassen, deren einzelne Glieder durch Erziehung und Leben eine gleiche Richtung gewinnen, müssen sich indessen einige hervortretende Charakterzüge bemerken lassen; dies ist bei den polnischen Edelleuten der Fall, und nur von diesem Standpunkte aus läßt sich etwas Allgemeines über ihren Charakter ausmitteln. Die Erziehung selbst wird überall und immer bedingt durch das Lokale und durch das Temporale, durch den Boden und durch die politische Geschichte. In Polen ist ersteres weit mehr der Fall als irgendwo. Polen liegt zwischen Rußland und – Frankreich. Das noch vor Frankreich liegende Deutschland will ich nicht rechnen, da ein großer Teil der Polen es ungerechterweise wie einen breiten Sumpf ansah, den man schnell überspringen müsse, um nach dem gebenedeiten Lande zu gelangen, wo die Sitten und die Pomaden am feinsten fabriziert werden. Den heterogensten Einflüssen war Polen dadurch ausgesetzt. Eindringende Barbarei von Osten, durch die feindlichen Berührungen mit Rußland; eindringende Überkultur von Westen, durch die freundschaftlichen Berührungen mit Frankreich: daher jene seltsamen Mischungen von Kultur und Barbarei im Charakter und im häuslichen Leben der Polen. Ich sage just nicht, daß alle Barbarei von Osten eingedrungen, ein sehr beträchtlicher Teil mag im Lande selbst vorrätig gewesen sein; aber in der neuern Zeit war dieses Eindrängen sehr sichtbar. Einen Haupteinfluß übt das Landleben auf den Charakter der polnischen Edelleute. Nur wenige derselben werden in den Städten erzogen; die meisten Knaben bleiben auf den Landgütern ihrer Angehörigen, bis sie erwachsen sind und durch die nicht gar zu großen Bemühungen eines Hofmeisters oder durch einen nicht gar zu langen Schulbesuch oder durch das bloße Walten der lieben Natur in den Stand gesetzt sind, Kriegsdienste zu nehmen oder eine Universität zu beziehen oder von der bärenleckenden Lutetia die Weihe der höchsten Ausbildung zu empfangen. Da nicht allen hierzu dieselben Mittel zu Gebot stehen, so ist es einleuchtend, daß man einen Unterschied machen muß zwischen armen Edelleuten, reichen Edelleuten und Magnaten. Erstere leben oft höchst jämmerlich, fast wie der Bauer, und machen keine besonderen Ansprüche an Kultur. Bei den reichen Edelleuten und den Magnaten ist die Unterscheidung nicht schroff, dem Fremden ist sie sogar sehr wenig bemerkbar. An und für sich selbst ist die Würde eines polnischen Edelmanns (civis polonus) bei dem ärmsten wie bei dem reichsten von demselben Umfange und demselben innern Werte. Aber an die Namen gewisser Familien, die sich immer durch großen Güterbesitz und durch Verdienste um den Staat ausgezeichnet, hat sich die Idee einer höhern Würde geknüpft, und man bezeichnet sie gemeiniglich mit dem Namen Magnaten. Die Czartoryskis, die Radziwills, die Zamoyskis, die Sapiehas, die Poniatowskis, die Potockis usw. werden zwar ebensogut als bloße polnische Edelleute betrachtet wie mancher arme Edelmann, der vielleicht hinterm Pflug geht; dennoch sind sie der höhere

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