Sämtliche Werke
Charakters will ich ebenfalls durchaus nicht tadeln. Es ist sogar ein Vorzug. Ein Charakter entsteht durch ein System stereotyper Grundsätze. Sind letztere irrig, so wird das ganze Leben desjenigen Menschen, der sie systematisch in seinem Geiste aufgestellt, nur ein großer, langer Irrtum sein. Wir loben das und nennen es »Charakter haben«, wenn ein Mensch nach festen Grundsätzen handelt, und bedenken nicht, daß in einem solchen Menschen die Willensfreiheit untergegangen, daß sein Geist nicht fortschreitet und daß er selbst ein blinder Knecht seiner verjährten Gedanken ist. Wir nennen das auch Konsequenz, wenn jemand dabei bleibt, was er ein für allemal in sich aufgestellt und ausgesprochen hat, und wir sind oft tolerant genug, Narren zu bewundern und Bösewichter zu entschuldigen, wenn sich nur von ihnen sagen läßt, daß sie konsequent gehandelt. Diese moralische Selbstunterjochung findet sich aber fast nur bei Männern; im Geiste der Frauen bleibt immer lebendig und in lebendiger Bewegung das Element der Freiheit. Jeden Tag wechseln sie ihre Weltansichten, meistens ohne sich dessen bewußt zu sein. Sie stehen des Morgens auf wie unbefangene Kinder, bauen des Mittags ein Gedankensystem, das wie ein Kartenhaus des Abends wieder zusammenfällt. Haben sie heute schlechte Grundsätze, so wette ich darauf, haben sie morgen die allerbesten. Sie wechseln ihre Meinungen so oft wie ihre Kleider. Wenn in ihrem Geiste just kein herrschender Gedanke steht, so zeigt sich das Allererfreulichste, das Interregnum des Gemüts. Und dieses ist bei den Frauen am reinsten und am stärksten und führt sie sicherer als die Verstandesabstraktionslaternen, die uns Männer so oft irreleiten. Glauben Sie nicht etwa, ich wollte hier den Advocatus Diaboli spielen und die Weiber noch obendrein preisen wegen jenes Charaktermangels, den unsere Gelbschnäbel und Grauschnäbel – die einen durch Amor, die andern durch Hymen malträtiert – mit so vielen Stoßseufzern beklagen. Auch müssen Sie bemerken, daß, bei diesem allgemeinen Ausspruch über die Weiber, die Polinnen hauptsächlich gemeint sind und die deutschen Frauen so halb und halb ausgenommen werden. Das ganze deutsche Volk hat, durch seinen angeborenen Tiefsinn, ganz besondere Anlage zu einem festen Charakter, und auch den Frauen hat sich ein Anflug davon mitgeteilt, der durch die Zeit sich immer mehr und mehr verdichtet, so daß man bei ältlichen deutschen Damen, sogar bei Frauen aus dem Mittelalter, d.h. bei Vierzigerinnen, eine ziemlich dicke, schuppige Charakterhornhaut vorfindet. Unendlich verschieden sind die Polinnen von den deutschen Frauen. Das slawische Wesen überhaupt und die polnische Sitte insbesondere mag dieses hervorgebracht haben. In Hinsicht der Liebenswürdigkeit will ich die Polin nicht über die Deutsche erheben: sie sind nicht zu vergleichen. Wer will eine Venus von Tizian über eine Maria von Correggio setzen? In einem sonnenhellen Blumentale würde ich mir eine Polin zur Begleiterin wählen; in einem mondbeleuchteten Lindengarten wählte ich eine Deutsche. Zu einer Reise durch Spanien, Frankreich und Italien wünschte ich eine Polin zur Begleiterin; zu einer Reise durch das Leben wünschte ich eine Deutsche. Muster von Häuslichkeit, Kindererziehung, frommer Demut und allen jenen stillen Tugenden der deutschen Frauen wird man wenige unter den Polinnen finden. Jene Haustugenden finden sich aber auch bei uns meistens nur im Bürgerstande und einem Teile des Adels, der sich in Sitten und Ansprüchen dem Bürgerstande angeschlossen. Bei dem übrigen Teile des deutschen Adels werden oft jene Haustugenden in höherem Grade und auf eine weit empfindlichere Weise vermißt als bei den Frauen des polnischen Adels. Ja, bei diesen ist es doch nie der Fall, daß auf diesen Mangel sogar ein Wert gelegt wird, daß man sich etwas darauf einbildet; wie von so manchen deutschen adligen Damen geschieht, die nicht Geld- oder Geisteskraft genug besitzen, um sich über den Bürgerstand zu erheben, und die sich wenigstens durch Verachtung bürgerlicher Tugenden und Beibehaltung nichtskostender altadliger Gebrechen auszuzeichnen suchen. Auch die Frauen der Polen sind nicht ahnenstolz, und es fällt keinem polnischen Fräulein ein, sich etwas darauf einzubilden, daß vor einigen hundert Jahren ihr wegelagernder Ahnherr, der Raubritter, der verdienten Strafe – entgangen ist. – Das religiöse Gefühl ist bei den deutschen Frauen tiefer als bei den Polinnen. Diese leben
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