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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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verachten seine kleinen Henker und den großen Barden, der sich zu ihrem Komplizen gesungen, die Musen werden bessere Sänger zur Feier ihres Lieblings begeistern, und wenn einst Menschen verstummen, so sprechen die Steine, und der Martyrfelsen St. Helena ragt schauerlich aus den Meereswellen und erzählt den Jahrtausenden seine ungeheure Geschichte.
V
Old Bailey
    Schon der Name Old Bailey erfüllt die Seele mit Grauen. Man denkt sich gleich ein großes, schwarzes, mißmütiges Gebäude, einen Palast des Elends und des Verbrechens. Der linke Flügel, der das eigentliche Newgate bildet, dient als Kriminalgefängnis, und da sieht man nur eine hohe Wand von wetterschwarzen Quadern, worin zwei Nischen mit ebenso schwarzen allegorischen Figuren, und wenn ich nicht irre, stellt eine von ihnen die Gerechtigkeit vor, indem, wie gewöhnlich, die Hand mit der Waage abgebrochen ist und nichts als ein blindes Weibsbild mit einem Schwerte übrigblieb. Ungefähr gegen die Mitte des Gebäudes ist der Altar dieser Göttin, nämlich das Fenster, wo das Galgengerüst zu stehen kommt, und endlich rechts befindet sich der Kriminalgerichtshof, worin die vierteljährlichen Sessionen gehalten werden. Hier ist ein Tor, das gleich den Pforten der Danteschen Hölle die Inschrift tragen sollte:
    Per me si va nella città dolente,
    Per me si va nell’ eterno dolore,
    Per me si va tra la perduta gente.
    Durch dieses Tor gelangt man auf einen kleinen Hof, wo der Abschaum des Pöbels versammelt ist, um die Verbrecher durchpassieren zu sehen; auch stehen hier Freunde und Feinde derselben, Verwandte, Bettelkinder, Blödsinnige, besonders alte Weiber, die den Rechtsfall des Tages abhandeln, und vielleicht mit mehr Einsicht als Richter und Jury, trotz all ihrer kurzweiligen Feierlichkeit und langweiligen Jurisprudenz. Hab ich doch draußen vor der Gerichtstüre eine alte Frau gesehen, die im Kreise ihrer Gevatterinnen den armen schwarzen William besser verteidigte als drinnen im Saale dessen grundgelehrter Advokat – wie sie die letzte Träne mit der zerlumpten Schürze aus den roten Augen wegwischte, schien auch Williams ganze Schuld vertilgt zu sein.
    Im Gerichtssaale selbst, der nicht besonders groß, ist unten, vor der sogenannten Bar (Schranken), wenig Platz für das Publikum; dafür gibt es aber oben, an beiden Seiten, sehr geräumige Galerien mit erhöheten Bänken, wo die Zuschauer Kopf über Kopf gestapelt stehen.
    Als ich Old Bailey besuchte, fand auch ich Platz auf einer solchen Galerie, die mir von einer alten Pförtnerin gegen Gratifikation eines Schillings erschlossen wurde. Ich kam in dem Augenblick, wo die Jury sich erhob, um zu urteilen, ob der schwarze William des angeklagten Verbrechens schuldig oder nicht schuldig sei.
    Auch hier, wie in den andern Gerichtshöfen Londons, sitzen die Richter in blauschwarzer Toga, die hellviolett gefüttert ist, und ihr Haupt bedeckt die weißgepuderte Perücke, womit oft die schwarzen Augenbraunen und schwarzen Backenbärte gar drollig kontrastieren. Sie sitzen an einem langen grünen Tische, auf erhabenen Stühlen, am obersten Ende des Saales, wo an der Wand mit goldenen Buchstaben eine Bibelstelle, die vor ungerechtem Richterspruch warnt, eingegraben steht. An beiden Seiten sind Bänke für die Männer der Jury und Plätze zum Stehen für Kläger und Zeugen. Den Richtern gerade gegenüber ist der Platz der Angeklagten; diese sitzen nicht auf einem Armesünderbänkchen, wie bei den öffentlichen Gerichten in Frankreich und Rheinland, sondern aufrecht stehen sie hinter einem wunderlichen Brette, das oben wie ein schmalgebogenes Tor ausgeschnitten ist. Es soll dabei ein künstlicher Spiegel angebracht sein, wodurch der Richter imstande ist, jede Miene der Angeklagten deutlich zu beobachten. Auch liegen einige grüne Kräuter vor letzteren, um ihre Nerven zu stärken, und das mag zuweilen nötig sein, wo man angeklagt steht auf Leib und Leben. Auch auf dem Tische der Richter sah ich dergleichen grüne Kräuter und sogar eine Rose liegen. Ich weiß nicht, wie es kommt, der Anblick dieser Rose hat mich tief bewegt. Die rote blühende Rose, die Blume der Liebe und des Frühlings, lag auf dem schrecklichen Richtertische von Old Bailey! Es war im Saale so schwül und dumpfig. Es schaute alles so unheimlich mürrisch, so wahnsinnig ernst. Die Menschen sahen aus, als kröchen ihnen graue Spinnen über die blöden Gesichter. Hörbar klirrten die eisernen Waagschalen über dem Haupte des armen schwarzen

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