Saemtliche Werke von Jean Paul
nicht so bekannt wie mir deine?« Denn er hielt ihn (wie ich auch) aus mehren Gründen für den zurückgebliebnen Sohn des Pfarrers Eymann. Da aber Dahore darüber schwieg – in dessen hellen lichten Himmel man sonst bis zum kleinsten Nebelstern hinabschauen konnte –: so fürchtete er, vor diesen frommen Ohren seinem Eide des Schweigens zu nahe zu reden, wenn er auch nur seine fragenden Vermutungen über den Blinden entdeckte. Dieser Julius schien nur zwei Wurzeläste seines Wesens zu haben, deren einer in die Flöte und der andre in seinen Lehrer ging. Auf seinem weißen Angesicht, worauf die Trunkenheit des musikalischen Genies und die Abgezogenheit des träumenden Blinden sich mit einer fast weiblichen Schönheit verband, stand der Widerschein seines Lehrers, und die Fibern desselben hatten sich wie Lautensaiten nur in harmonischen Bewegungen geregt. Der arme Blinde, der seinen Dahore für seinen Vater ansah, wurde wie eine Flaumfeder bloß von seinem kleinsten Hauch gelenkt. Viktor zog oft den Kopf des lieben Blinden nahe an sein Gesicht, um die zerstörten Augen zu mustern, ob sie wieder herzustellen wären. Aber ob er gleich mit Schmerzen sah, daß der Unglückliche unheilbar in der vollen lichten Erde bleibe: so wiederholt’ er doch immer die nahe Erforschung, bloß um die reizende liebe Gestalt näher an seinem Auge und an seiner Seele zu haben.
Emanuel führte am Morgen als Cicerone der Natur seinen Gast durch die Ruinen und Antiken der Erde; denn jeder Baum ist eine ewige Antike. Wie verschieden ist ein Spaziergang mit einem frommen Menschen, und einer mit einer gemeinen Weltseele! Die Erde kam ihm heilig vor, erst aus den Händen des Schöpfers entfallen – ihm war, als ging’ er in einem über uns hängenden überblümten Planeten. Emanuel zeigte ihm Gott und die Liebe überall abgespiegelt, aber überall verändert, im Lichte, in den Farben, in der Tonleiter der lebendigen Wesen, in der Blüte und in der Menschenschönheit, in den Freuden der Tiere, in den Gedanken der Menschen und in den Kreisen der Welten – denn entweder ist alles oder nichts sein Schattenbild –; so malt die Sonne ihr Bild auf alle Wesen, groß im Weltmeere, bunt in Tautropfen, klein auf die Menschen-Netzhaut, als Nebensonne in die Wolke, rot auf den Apfel, silbern auf den Strom, siebenfarbig in den fallenden Regen und schimmernd über den ganzen Mond und über ihre Welten.
Viktor fühlte heute zum ersten Male die Vergrößerung und Verklärung seines Ichs vor einem Geiste, der, ihm ähnlich, aber überlegen , gleich einem sphärischen Hohlspiegel alle Züge seines edlern Teils kolossalisch zurückwarf. Der ganze pöbelhafte Teil seiner Natur verkroch sich, als der höhere sich, von Dahore ins Große gemalt, über die liegenden Triebe aufrichtete. Ein Mensch, den die Sonnennähe eines großen Menschen nicht in Flammen und außer sich bringt, ist nichts wert. Er wollte kaum sprechen, um nur immer ihn zu hören, ob er gleich vorhatte, recht viele Tage dazubleiben. Er war wie vor einem höhern Wesen und vor einer Geliebten, vor denen man weder seinen Kopf noch seine Zunge zeigen will, mit Verzicht auf sein Ich in lautere Wahrheit und Liebe versunken. Von den kleinen Verhältnissen des Orts und des bürgerlichen Lebens war aller Firnis so rein abgesprungen, und sie standen ihm alle so vermooset da, daß er nicht einmal die Namen von Göttingen, von Flachsenfingen, oder leere Lebenvorfälle oder fremde Personalien nennen wollte. Viktor hatte überhaupt eine kleine Verachtung für die Menschen, denen die Nachricht an den Buchbinder lieber ist als das Buch, und die Rezension eines Autors lieber als sein System, und für welche die Erde keine Entzifferkanzlei des Buchs der Natur, sondern ein Sprachzimmer, eine Zeitungbude elender Personalien ist, die sie weder benutzen noch behalten noch beurteilen, sondern nur erzählen wollen; und es ekelten ihn die deutschen Gesellschaften, in denen man so wenig philosophiert. – O wie selig war er, einmal einen ganzen Tag mit einem andern denken, und was noch schöner ist, zugleich dichten zu dürfen!
Seine Zweifel über das Größte, was unsern Kopf erdrücken und unser Herz erheben kann, wurden heute zu Fragen – die Fragen zu Hoffnungen – die Hoffnungen zu Ahnungen. Es gibt Wahrheiten, von denen man hofft, große Menschen werden stärker von ihnen überzeugt sein, als man es selber sein kann; und man will daher durch ihre Überzeugung die seinige ergänzen. Dahore hielt die zwei
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