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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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– alle seine Torheiten – alles, er war so beredt in dieser Minute wie ein Engel und ebenso groß – sein Herz wallete zerschmolzen in Liebe, und je mehr er sagte, je mehr wollte er zu sagen haben.
    Auf dieser Erde schlägt keine erhabnere und seligere Stunde als die, wo ein Mensch sich aufrichtet, erhoben von der Tugend, erweicht von der Liebe, und alle Gefahren verschmäht und einem Freunde zeigt, wie sein Herz ist. Dieses Beben, dieses Zergehen, dieses Erheben ist köstlicher als der Kitzel der Eitelkeit, sich in unnütze Feinheiten zu verstecken. Aber die vollendete Aufrichtigkeit steht nur der Tugend an: der Mensch, in dem Argwohn und Finsternis ist, leg’ immer seinem Busen Nachtschrauben und Nachtriegel an, der Böse verschon’ uns mit seiner Leichenöffnung, und wer keine Himmeltür an sich zu öffnen hat, lasse das Höllentor zu!
    Emanuel hatte die göttliche oder mütterliche Freude, die ein Freund über die Tugend und Veredlung des Freundes empfindet, und vergaß über der Freude die verschiedenen Anlasse derselben.
    Ungern trenn’ ich mich auf eine Nacht von diesem tugendhaften Paar. Möge ich noch viele Tage von Maienthal zu malen bekommen und Viktor noch viele da verleben! –

15. Hundpostta g
     
    Der Abschied
    Ach heute geht er schon! Die bisherigen Rührungen und Gespräche hatten die zarte Hülle, die Emanuels schönen Geist wie eine Tulpe die Biene verschließet, zu sehr erschüttert: blaß und wankend stand er auf; und der Blinde war am glücklichsten, der weder diese Blässe, noch das weiße Tuch erblickte, das er zu nachts, statt vollzuweinen, vollgeblutet hatte. Er selber hatte noch das bleiche Abendrot der gestrigen Freude auf dem Angesicht; aber eben diese Gleichgültigkeit gegen seine auslöschenden Tage, dieses schwächere leisere Sprechen machte, daß Viktor die Augen von ihm wegwenden mußte, sooft sie lange an ihm gewesen waren. Emanuel sah ruhig, wie eine ewige Sonne, auf den Herbst seines Körpers herab; ja je mehr Sand aus seiner Lebens-Sanduhr herausgefallen war, desto heller sah er durch das leere Glas hindurch. Gleichwohl war ihm die Erde ein geliebter Ort, eine schöne Wiese zu unsern ersten Kinderspielen, und er hing dieser Mutter unsers ersten Lebens noch mit der Liebe an, womit die Braut den Abend voll kindlicher Erinnerungen an der Brust der geliebten Mutter zubringt, eh’ sie am Morgen dem Herzen des Bräutigams entgegenzieht.
    Viktor warf sich jeden vergossenen Bluttropfen Emanuels vor und entschloß sich, heute zu gehen, weil diese Psyche mit ihren großen Flügeln sich in ihrem Gewebe nicht mehr ohne Risse bewegen konnte. In Emanuels Augen glänzte eine unaussprechliche Liebe für seinen gerührten Schüler. Er fing selber von seinem Todestag zu reden an, um diesen zu trösten, und stellte ihm vor, daß er erst in einem Jahre von hinnen gehen könne; er bauete seine schwärmerische Weissagung auf zwei Gründe: daß erstlich seine meisten männlichen Verwandten am nämlichen Tage und im nämlichen Stufenjahre gestorben wären, zweitens daß schon mehre Schwindsüchtige in ihrer zerstörten Brust wie in einem Zauberspiegel ihren letzten Tag gelesen hätten. Viktor bestritt ihn; er zeigte, die Erklärung der letzten Erscheinung, als könne der Hektiker aus dem regelmäßigen stufenweisen Fallen der Lebenskraft leicht die letzte Stufe oder den Gefrierpunkt vorausfühlen, sei falsch, weil Gefühle der Zukunft in der Gegenwart Widersprüche (in adjecto) wären, und weil wir mitten im Leben so wenig den Eintritt des Todes als im Wachen den Eintritt des Schlafes (trotz gleicher Stufenfolge) voraus empfinden könnten. Viktor stellte ihm alles dieses vor; aber er glaubte es selber nicht recht: ihn übermannte der hohe Mensch, der seinen Eintritt in den Todesschatten so zuverlässig wie einen Eintritt des Mondes in den Erdschatten ansagte. – Wir wollen dem Kranken vergeben und uns deswegen nicht für weiser halten, weil er schwärmerischer ist. – Am meisten wurde Viktor durch Emanuels Wahn getröstet, daß ihm vor seinem Tode erst sein verstorbner Vater erscheinen werde.
    Viktor zögerte und wollte nicht zögern, hinderte als Arzt das Sprechen des Emanuel, um sich die Entschuldigung eines unschädlichen Aufschubs zu machen, und wurde eben, weil er selber wenig zu reden suchte, immer betrübter. – Wie kannst du, guter Viktor, schon heute von ihm eilen, von diesem Engel, der vielleicht über dem nächsten Grabe verschwindet? – Es muß dir hart fallen, da es schon so

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