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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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Flamin ging nach, und sie langten miteinander im Laub-Klosett vor den Teetrinkerinnen an. Niemals verschatteten die Zweige desselben ein verlegneres Gesicht, weichere Augen, vollere Blicke und lebhaftere oder schönere Träume, als Viktor darunter mitbrachte. Er dachte sich jetzo Klotilde als ein ganz neues Wesen und dachte also – da er nicht wußte, ob sie ihn liebe – recht dumm; der Mensch achtet allezeit, wenn er den Berg überstiegen hat, den kommenden Hügel für nichts; Flamin war sein Berg gewesen, und Klotilde sein Hügel. – In allen Gespräch-Untiefen, wo man schon halb im Sitzen oder Sinken ist, gibts keine herrlichere Schiffpumpe als eine Historie, die man zu erzählen hat. Man gebe mir Verlegenheit und den größten Zirkel und nur ein Unglück, nämlich die Anekdote davon, die noch keiner weiß als ich, so will ich mich schon retten. Viktor brachte also seinen Schwimmgürtel heraus, nämlich sein Schifftagebuch, aus dem er für die Laube einen pragmatischen Auszug machte – ich gesteh’ es, ein Zeitungschreiber hätte mehr verfälschen, aber schwerlich mehr weglassen können.
    Er tat sich, glaub’ ich, wieder Vorschub bei der Kaplänin, und noch mehr Schaden bei Klotilden – so sehr er auch nur aus Wohlwollen für die Zuhörer und aus zu starkem Haß des Hofes gegen Klotildens Satiren-Verbot in ihrem Briefe verstieß – dadurch unbezweifelt, daß er – da überhaupt die Mädchen nur den Spott, nicht die Spötter lieben – die Benefizkomödie der Prinzessin nicht von der erhabenen Seite darstellte, wie ich, sondern von der lustigen: Klotilde lächelte, und Agathe lachte.
    Da aber der Name Emanuel von ihm genannt wurde und sein Haus und sein Berg: so breitete die Freundschaft und die Vergangenheit auf dem schönsten Auge, worüber noch ein Augenbraunenbogen, aus einer Schönheitlinie gezogen, floß, einen sanften Schimmer aus, der jeden Augenblick zur Freudeträne werden wollte. Doch mußte er zu einer andern werden, als Viktor der Frage um seine Gesundheit, welche Klotilde hoffend an ihn als Kunstverständigen tat, die Antwort der leis’ umschriebenen Geschichte seines nächtlichen Blutens geben mußte. Er konnte den Schmerz des Mitleidens nicht verhehlen, und Klotilde konnt’ ihn nicht bezwingen. O ihr zwei guten Seelen! welche Quetschwunden wird euer Herz noch von eurem großen Freund empfangen!
    Wohin anders konnte sie jetzt ihr liebendes und trauerndes Auge als gegen ihren guten Bruder Flamin hinkehren, gegen den ihr Betragen durch den doppelten Zwang, den ihr ihre Verschwiegenheit und seine Auslegungen anlegten, bisher so unbeschreiblich mild geworden war? – Da nun Viktor das alles mit so ganz andern Augen sah; da er seinem armen Freund, der mit seinem gegenwärtigen Glück vielleicht die giftige Nahrung seiner künftigen Eifersucht vergrößerte, offen und heftend in das feste Angesicht schauete, das einst schwere Tage zerreißen konnten; da ihn überhaupt künftige oder vergangne Leiden des andern mehr angriffen als gegenwärtige , weil ihn die Phantasie mehr in der Gewalt hatte als die Sinne: so konnt’ er einen Augenblick die Herrschaft über seine Augen nicht behaupten, sondern sie legten ihren Blick, von mitleidigen Tränen umgeben, zärtlich auf seinen Freund. Klotilde wurde über den Ruheplatz seines Blickes verlegen – er auch, weil der Mensch sich der heftigsten Zeichen des Hasses weniger schämt als der kleinsten der Liebe – Klotilde verstand die kokette Doppelkunst nicht, in Verlegenheit zu setzen oder daraus zu ziehen – und die gute Agathe verwechselte das letzte immer mit dem ersten… »Frag ihn, was ihm fehlt, Bruder!« sagte Agathe zu Flamin…
    Dieser lenkte ihn mit ähnlichem Gutmeinen hinter die nächsten Stachelbeerstauden hinaus und fragte ihn nach seiner festen Art, die immer Behauptung für Frage hielt: »Dir ist was passiert!« – »Komm nur!« sagte Viktor und zerrte ihn hinter höhere spanische Wände aus Laub.
    »Nichts ist mir« – hob er endlich mit gefüllten Augenhöhlen und lächelnden Zügen an – »weiter passiert, als daß ich ein Narr geworden seit etwan 26 Jahren« – (so alt war er) – »Ich weiß, du bist leider ein Jurist und vielleicht ein schlechterer Okulist als ich selbst und hast wohl wenig in Herrn Janin gelesen: nicht?«
    Nicht bloß vom Nein wurde Flamins Kopf geschüttelt.
    »Ganz natürlich; aber sonst könntest du es aus ihm selber oder aus der Übersetzung von Selle recht schön haben, daß nicht bloß die Tränendrüse

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