Saemtliche Werke von Jean Paul
und sich damit groß und breit machen darf, Obersees aber nicht; sondern ich glaubte vielmehr, die Stadt Obersees könn’ ebensogut als eine andre die um sie liegende Stufensammlung von Dörfern, die nur durch einige Wiesen wie durch Gärten sich von ihr trennen, zu ihren zehn Vorstädten schlagen, und er sei in meinen Augen der Stadtrichter. Er versetzte: »Es ist doch nicht Ihr Ernst.«
Im Schlosse wohnte niemand weiter als der Schloßhauptmann und seine Ratten und »Weibsleute«. Er war ein Bauer und der Bruder und Sequester seiner Schwester. Sie war die Braut des Schulmeisters, wollt’ aber seine Frau – ob sie es gleich ihren sel. Eltern versprochen hatte – nicht werden, weil sich mit dem Schuldiener ein hitziges Fieber gleichsam gerauft und ihm nicht so viel Haare gelassen hatte, als ein Truthahn noch in der Pfanne anhat. Ihr Bruder war ihr von der Obrigkeit gesetzter Sequester, damit sie kein fremdes Handgeld, d. h. keine fremde Hand unterdessen nähme: denn keine Liebe – selber die erste, fünfte, neunte nicht ausgenommen – hat ein Mädchen so schnell als die zweite.
Ich und der Gerichtshalter waren so glücklich, daß sie unsre Heiduckin, Jagdlakaiin und Adjutantin war; man bälge oder schäle die Venus Urania aus, hänge ihre Haut einige Tage im Sommer ans Trockenseil zum Einlaufen und ziehe der Göttin den dürren Überzug, die Nachtkleidung, wieder an und seh’ ihr ins Gesicht: so hat man – unsre Eva . Es war an ihr, wie an andern Schwanen, alles herrlich, nett und weiß, nur die Haut nicht. Ich weiß kein größeres Lob ihrer Schönheit als dieses, daß der Verfasser und Seraphinen-Ritter Torsaker, als die jungen Pursche von Obersees in den Schloßhof kamen, um ihr – sie nahm gerade einigen groben Stühlen die Stuhlkappen ab – wie den andern Mädchen seidne Floskeln und Flügeldecken und Berlocken für die Purpurfahne des Maienbaums abzubetteln, kein größeres Lob weiß ich für sie, sag’ ich, als daß ich meine seidne Reise-Krawatte aufknöpfte und herunterzog und ihr hinreichte mit den Worten: »Schenk’ Sie es dem Maienbaum in Ihrem Namen.« Sie wollte nicht, sie mußte aber.»Man kann in unsern Tagen«, sagt’ ich, »leicht à la Hamlet gehen.«
Ich habe oft meinen Freunden abgeraten und vorgehalten: »Man muß Frauenzimmern und Leuten von höherm Stande nicht den geringsten Gefallen tun, um etwan ihre Liebe damit zu erbeuten, wiewohl mans tun kann, um seine zu zeigen. Denn beide sind so sehr an diese Personensteuer und Landtaxe gewöhnt, daß man sie zehnmal mehr einnimmt, wenn man sich von ihnen eine Gefälligkeit – erweisen lässet.« Ich führe diese ewige Theorie und Satzung nur an, um zu bemerken, daß sie grundfalsch ist, wenn man sie auf geringere Mädchen appliziert: diesen kann man ohne allen Schaden die besten seidnen Schnupf- und Halstücher zuwerfen und zollen.
Es ging jetzt gegen Abend: die Sonne setzte ihren letzten Tags- und Frühlingsglanz herrlich in bewegliche Edelsteine auf den von Floßfedern geschlagnen Wellen um, auf den grünen Fensterscheiben, auf den wankenden Laubenhälsen, auf den durchsichtigen Gipfeln und auf einem Wölkchen, nahe an ihr und der Erde. Sie hätte sich, wären jemand im Dorfe zwei Tropfen in den Augen gestanden – welches bei der allgemeinen Vigilienfreude kein Wunder gewesen wäre –, in die Tropfen aufgelöset und sich als eine Goldsolution ans dämmernde Auge gehangen.
Weyermann wartete, bis die Jugend des Orts sich bei ihm eine Erlaubnis auswirkte, den Maienbaum als einen Schlagbaum oder ein Schutzbrett ihres Freudenstroms aufzuziehen: dann, nach der Permission, konnten wir ins Dorf hinuntergehen zum Maienbaum. Welches Lust-Feldgeschrei! Wie erheben sich alle Herzen zugleich mit einem Baum! Beßre Baumheber als die, die ihn sonst umstürzten, sind jetzt die Bettaufhelfer des liegenden Freiheitsbaums, und unzählige Stäuber richten ihn empor, gleichsam als ein Sinnbild eines guten Staates , oben mit einem hangenden Garten grünend, mit einem Gipfelputz von seidnem Ordensband-Tauwerk, mit bunten Brahmsegeln zum Stehen , mit einer roten, knarrenden Freiheitsfahne und einem roten Hahne und mit einem gleißenden Stamm, herrlich geschält und abgeblattet und fest in die Erde, ohne Wurzeln , eingeschraubt und eingestampft. Als der sixtinische Obeliskus in Rom sich aufrichtete, war der Lärm ebensogroß, aber nicht der Jubel, und die Römer hatten nicht so viele Schmerzen in die Flucht geschlagen, daß sie, wie die sieghaften
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