Saemtliche Werke von Jean Paul
geistlich-poetischen Ader aus, und aus den Gesangbüchern wurden Zeilen, Strophen und Lieder ausgejagt, die, obwohl keinen guten Sinn, doch auch keinen schlimmen hatten. Der Kantor Schnäzler fing inzwischen diese durch den Gesangbuchs-Ventilator entwischende fixe Luft zusammen, die stets alten Liedern und schalen Bieren den Geist gibt; ich meine, er verglich das alte und neue Gesangbuch und kehrte die schönen Stellen des alten, die die ästhetische Tempelreinigung aus dem neuen weggefegt hatte, wieder auf einen Haufen und schlichtete wirklich dieses Raff- und Leseholz zu guten besondern Liedern zusammen. Er konnte mir zwei schöne zeigen, die ein vollständiger index expurgandorum des baireuthschen waren. Es würde gefruchtet haben, wenn man bei den Lieder-Unruhen in Berlin den singenden Insurgenten eine solche in Reime mit unendlicher Mühe zusammengeschobne Kolonie aller Stellen, die aus dem neuen Gesangbuch emigrieren mußten, hätte anbieten können: Schnäzler zeigt uns in seinen Korrekturbögen , daß man ebensogut aus altdeutschen Versen wie aus den Archaismen und Phrasen altrömischer Verse – wie Gymnasiasten tun – versus memoriales zusammenwerfen könne. –
Ich weiß, in ganz Deutschland hatte kein Dichter einen so herrlichen Abend vor Johannis als der Liederdichter Schnäzler: er war so glücklich wie Gellert, zu erleben, daß einmal der Rang zur Dichtkunst ging, nicht diese zu jenem. – Ich versicherte ihm beim Abschied: »und wenn er mehr hitzige Fieber bekäme als Haare und so kahl bliebe wie ein Enten-Ei, und wenn der Ranzenadvokat ein Winterfell von lauter Weichselzöpfen umbekäme: ich wüßte recht gut, wer morgen abends die schöne Eva hätte.«
Ich bekenn’ aber der Welt, ich hatte nur die erste Hälfte eines Plans ausgebauet: die Risse und Baumaterialien der zweiten foderte ich dem Handlanger Zufall als Baufronen ab. Es ist gleich einfältig, alles und nichts dem Zufalle oder der Zukunft zu überlassen.
Ich ging spät ins Schloß zurück mit einem der auffallendsten Entschlüsse; dem nämlich, an einen Reichs-Kanzlei-Verwandten in Wien zu schreiben.
Mit einem Wort, ich tats am Morgen, eh’ der Stadtrichter aufstand. Ich nenne den Namen nicht; aber da er weiß, was ich ihm unter dem Vize-Kanzelariat für Dienste erwiesen, so wär’ es eine kleine Erwiderung gewesen, wenn er nur mit dem Wappeninspektor drei Worte darüber gesprochen hätte, ich meine nämlich über meine Anfrage, ob nicht der Kantor Schnäzler zum Reichs-Poeten (poeta laureatus) zu kreieren sei. Ich kopiere hier aus guten Gründen das ganze Schreiben.
»Hochedelgeborner,
Insonders etc.
Ich sollte wohl hoffen, daß Ew. etc. sich noch der fünf klugen und fünf törichten Jungfrauen erinnerten, wovon eine von den erstem ein gewisser Richter aus Hof (der hier die Ehre hat, an Sie zu schreiben), und eine von den letztern Sie repräsentierten auf der Kölner Redoute. Denenselben hing damals noch ein zweiter, aus Weinreben gesponnener Flor vor den Augen; und über die gegenwärtige Jungfrau ließ seitdem das Schicksal viel schwärzere Nonnenflöre niederfallen. Diese schöne Zeit, Freund, ist mit allen ihren 10 000 Auen und Millionen Blumen nun wie ein Schatz unter die Erde versunken.
Um auf die Absicht meines Briefs zu kommen: so hoff’ ich, Sie sind noch mit unserm alten Wappeninspektor in Konnexion und er am Leben, dessen Rat Sie in einer Angelegenheit einziehen sollen, die einen noch wenig bekannten Liedermacher, den trefflichen Schnäzler, Schuldiener in Obersees, betrifft. Dieser geistreiche Mann hat nicht nur aus alten Gesangbüchern alles, was aus den neuen weggelassen worden, vollständig ausgehoben und zusammengehäuft, sowohl einzelne Wörter als ganze Zeilen, sondern er hat auch – was wir wohl bei einer kastrierten Ausgabe lateinischer erotischen Dichter finden, in der hinten zwar alle anstößige Stellen stehen, aber isoliert, ohne in den geringsten Nexus gefugt zu sein – aus diesen weggeworfnen Stummeln, hölzernen Beinen und Krücken schöne Figuren musivisch zusammengelegt, von denen wohl jeder Deutsche sagen muß: »Das sind geistliche Lieder!«
Insofern wird es Sie weniger wundern, daß ich wirklich gesonnen bin, bei der Reichs-Hof-Kanzlei um die Reichs-Laureatur oder um die Würde eines gekrönten Poeten für Schnäzlern nachzusuchen – besonders da er eine eitle Braut hat, die ihn nicht will, wenn er nichts wird. Ich wende mich aber jetzt mit der großen Bitte an Sie,
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