Saemtliche Werke von Jean Paul
Pombal will man freilich rühmen, er habe beim Erdbeben zu Lissabon zweihundertunddreißig Verordnungen erlassen; aber für einen Ort, dünkt mich, der kein Erdbeben, sondern eine Kirmes hatte, verordnete der Gerichtshalter immer genug.
Das Brausen der Markt-Flut wurde allmählich lauter – die Frankfurter Pfeifergerichte wurden von immer mehrern Jungen und Pfeifschwänzen besetzt, und die Böttcherwoche, die schon den ganzen Morgen gewährt hatte, durfte der eigentlichen Meß- und Zahlwoche keine Zeit mehr rauben. – Der Stadtrichter holte durch vormittägige Schanzarbeiten zu nachmittägigen Kanikular-Ferien aus, um den Adjunktus zu genießen – und ich machte nichts – außer dem Plane – als einen Spaziergang unter das Volk.
Hier mußte man nun seine Aufmerksamkeit – so wie die kleine Münze – zuerst den Bettlern schenken, und ich ging den Gründen nach, aus welchen wohl alle gute Dorfpolizeien an Kirchweihen freies Betteln nie verwehren. Sie sind nicht ohne Gewicht. Die Bettler beziehen diese Messen der Dörfer als Kundmänner und erstehen darauf ansehnliche Partien von Kuchen, Broten, Lumpen, Hellern auf Kredit – Geld ist ein Warenartikel –; ja durch diese Meßleute werden oft dem angesehenen Kaufmann die teuersten Artikel, die er sonst behielte, z. B. Uhren, Geldbeutel etc., mit Vergnügen abgenommen. Der Handelskonsul, der Bettelvogt, schützt mit seinem Spieß diese Meßfremden beim Flor des Land- und Transito-Handels. Der zweite Grund ist vielleicht wichtiger: es wird nämlich leider wohl an keinem Tage mehr geflucht, gefressen, gesoffen, ge- und überhaupt die Kirche mehr entweihet als an dem, wo sie einzuweihen ist. Hier kann sich das Dorf nun keine halbe Stunde die Bettler und die Krüppel nehmen lassen, die dem Teufel das, was er erobert, dadurch wieder abjagen und abackern, daß sie die Gassen wie besoffen durchschweifen und vor jeder Haustür nichts Geringers verrichten als eine fliegende Gassenandacht und so den ganzen Ort, indem sie um einen Heller einen singenden Umgang halten, mit dem Feuer der Andacht illuminieren. Was will nachher der Teufel machen? frag’ ich. –
Am Ende des Orts hielt mich ein Kerl an, der keine rechte Hand hatte und bitterlich weinte und sagte, er käme so um, weil er keine Hand – er streckte den defekten Arm aus – mehr daran habe, um sich sein Brot zu verdienen durch Betteln. Sonst sei er so glücklich gewesen, eine mit einem einzigen Daum – die Finger waren wie Schlesien im siebenjährigen Kriege daraufgegangen – zu führen und damit jedes Herz zu bewegen; aber mit einem bloßen Stummel habe kein Mensch Erbarmen. Ich sagte: »Bleib’ Er stehen, ich helf’ Ihm.«
Das konnt’ ich gut. Ich hatte nämlich am Morgen die Gerichtsschränke durchstöbert, um irgendeine wissenschaftliche Trüffel unter diesem schmutzigen Boden auszuwittern: ich traf nichts Sonderliches an als im Fraischpfänder-Schrank zwei abgesottne, eingeschrumpfte Hände . Sie wurden sonst als Nachlaß solcher Kinder aufgehoben, die damit ihre Eltern geschlagen hatten und die solche immer aus dem Grabe heraushielten. Herr Dreyer zeigte aber uns Gelehrten insgesamt, wie es wäre und von wem die Hände kämen – von totgeschlagnen Leuten nämlich, denen sie der Ankläger sonst als Beweise und Exponenten des corpus delicti abschneiden müssen, worauf man sie von Gerichts wegen abgesotten.
Kurz ich holte aus dem Fraisch-Behälter das Händepaar hinweg und bot dem Invaliden eine davon als Lebens-Wickelschwanz (cauda prendensilis) zur Auswahl an. Ich unterrichtete ihn, es sei eine ehrliche Hand, wovon er alle Finger wegschneiden könnte bis auf den nötigen Diebsdaum; er könne sie an den Stummel stoßen und anschienen und so, weil sie so greulich aussehe, sich mit ihr so gut wie mit einer Hand aus den Wolken oder mit einer langen königlichen recht wohl forthelfen und vorspannen. Er steckte das Fraischpfand zu sich.
Eh’ ich weitergehe in der Geschichte, will ich eine Digression anpichen, einen Appendix an den Appendix, ein Allonge an den Wechselbrief. Es ist fatal, daß mir jedes Wort, jede Behauptung und Untersuchung – und wär’ es die, ob es einen Teufel gibt – seit einigen Jahren unter den Händen zu einer Geschichte wird. Auf der einen Seite kann man allerdings über philosophische Pillen und Magenmorsellen kein besseres Silber als das historische ziehen, wie Bahrdt in Halle Kirchengeschichte las, um seine Dogmatik einzuschwärzen; aber auf der andern seh’ ich nicht,
Weitere Kostenlose Bücher