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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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Poesie der Zeit, sind magisch. Oder besser gesagt, Geld ist Zauberei, Kunst ist Magie. Geld ist schauspielerisches Können, Fingerfertigkeit, ein Haufen Taschenspielertricks. Kunst dagegen ist ein Bündel von Kräften und Einflüssen, die mittels praktischer, doch stets unerklärlicher geheimer Verbindungen auf die Sinne einwirken. Zugegeben, die Scheidelinie zwischen beiden kann so dünn sein wie ein Dollarschein. Und hinzu kommt noch, dass die Zauberer des Kapitalismus ihren Einfluss auf das Publikum mit Hilfe der Manipulation künstlerischer Bilder verstärken.
    Lange bevor der Kunst der kommerzielle Schleier über die Augen fiel, hatte er bereits den Blick der Religion getrübt. Alte Tempel, ob nun heidnisch oder sonst was, waren fast immer zugleich Schatzkammern und Münzämter. Der Tempel von Jerusalem bildete da keine Ausnahme. Der Erste Tempel und beide Versionen des Zweiten dienten dem Staat Judäa als Finanzzentren. Davon hatte Ellen Cherry keine Ahnung. Reverend Buddy Winkler schon eher, aber das Licht, in dem Buddy die Beziehungen der Religion zum Reichtum untersuchte, war verständlicherweise trübe. Can o’ Beans war sich völlig im Klaren darüber, doch vermied er/sie in seinen/ihren Spekulationen über das mögliche Aussehen des Dritten Tempels jegliche Mutmaßung darüber, was für Beziehungen dieser möglicherweise zur Bank von Israel unterhalten würde. Selbst die furchtlose Bohnendose hielt das Thema für heikel.
    Es liegt auf der Hand, dass weder das Geld an sich noch die Liebe zu ihm die Wurzel allen Übels ist. Das Übel wurzelt tiefer. Auf alle Fälle hat Geld keine Wurzeln. Geld ist ein Blatt. Billionen von Blättern, um genau zu sein; dicht, buschig, grün wie Dollarscheine, Blätter, die mit ihrem künstlichen Baldachin die Sterne der Wirklichkeit verdunkeln. Wer sagt, dass Geld nicht auf Bäumen wächst?
    Die Einführung des Geldes mit seinen verführerischen, wenn auch größtenteils zweifelhaften Versprechungen verlieh dem Wettkampf des Lebens neuen Schwung, aber der Schwung verwandelte sich in Schwindel, als die Akteure, betäubt von immer neuen Unwägbarkeiten, anfingen, das Feld mit dem Spiel zu verwechseln.
    So wird selbst für diejenigen unter uns, die nicht persönlich bei Salomes Tanz dabei sein können, der fünfte Schleier fallen, und zwar im Augenblick des Todes. Wenn wir erst daliegen, hilflos, für keine Ablenkung mehr empfänglich, und die Energie sich aus unserem Hirn stiehlt wie ein Gauner von der Seite seines gutgläubigen Opfers, wird es vielen von uns wie Schuppen von den Augen fallen: Bei allem, was wir getan haben, ging es um Geld. Und in diesem Augenblick, kurz bevor die Sterne verlöschen, werden wir das, je nachdem, was wir sonst noch im Leben gelernt haben, entweder leidenschaftlich bereuen oder ein stilles Gelächter ausstoßen, das ganz allein auf unsere Kosten geht.
    I & I

Das ist der Raum mit der Wolfsmuttertapete. Der Raum, in dem der Hummer den Kopfkissenbezug zerriss, weil er ihn verwechselte mit … hoppla! Momentchen mal. Wo wir gerade von Verwechslungen sprechen, das hier ist tatsächlich weit entfernt von dem Boudoir, das die Wolfsmutter tapeziert hat. Das hier ist nicht einmal ein Raum. Das hier ist zufällig die Kreuzung East Forty-ninth Street und United Nations Plaza, wo ein plötzlicher Schneeschauer, von einem frischen Wind vom Fluss herübergewirbelt, in Ellen Cherrys angespanntes Gesicht peitschte, alle Gedanken an Geld und Kunst aus ihrem Großhirn vertrieb, Eiskristalle über die arg gerupfte Bienenwabe ihres Haars streute und einen Moment lang eine Halluzination von Krustentieren und Bettlaken erzeugte, vielleicht einen Flashback zu einem Raum, in den Ellen Cherrys Neuronen womöglich einmal in einem vergessenen Traum gestolpert waren.
    Sie schüttelte das Bild, den Schnee, den Wind und den unerwarteten Temperatursturz ab und ging um die Ecke zur UN Plaza, nur um vor dem I & I Zeuge einer Szene zu werden, die gleichfalls aus einem Traum hätte stammen können: Eine raunende Menge. Hysterisch flackernde rote Lichter. Das ruppige Drängeln von für den Notfall ausstaffierten Männern.
    Zuerst hielt Ellen Cherry das alles für den Rest der Demonstration vor dem UN -Gebäude ein Stück die Straße runter, doch als sie näher kam, sah sie, dass die Menge lediglich untätig um zwei einsame Männer herumstand, die in zwei sich ausbreitenden Blutlachen lagen. Einer der Männer war Sylvester, ein Wachmann aus dem Restaurant. Er war mit einem

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