Salomes siebter Schleier (German Edition)
und das, wo Boomer immer noch in Jerusalem war. Ihre Eltern waren enttäuscht gewesen, hatten jedoch ihr Versprechen akzeptiert, sie würde Weihnachten in Colonial Pines verbringen. Als Boomers Rückkehr sich weiter verzögerte, hatte sich Ellen Cherry jedoch auch für Weihnachten eine Ausrede einfallen lassen.
«Na schön», sagte Patsy entschlossen. «Wenn sie nich zu uns kommt, fahren wir eben zu ihr.»
«Immer langsam mit den jungen Pferden», sagte Verlin. «Redest du etwa von New York? Zu Weihnachten? Wir?»
«Du hast es erfasst. Es wird eine Familienfeier werden. Und sehr romantisch.»
«Es wird ein verdammter Albtraum. Von allen Orten, an denen man Weihnachten feiern könnte …»
«Bud wird da sein.»
«Is mir egal.»
«Und ich auch –»
Verlin wusste nicht weiter. Er konnte sehen, dass sie es ernst meinte. Verdammter Mist! Sie hatte ihn am Wickel. Er konnte in Colonial Pines bleiben und allein feiern – allein! – oder mit seiner durchtriebenen Frau und seiner unberechenbaren Tochter in einem heidnischen Sündenpfuhl, wo ihr Leben keine zwei Cents wert war, nicht mal am Geburtstag des Christkindes. Ganz zu schweigen von den unzähligen Footballspielen, die er verpassen würde.
Nun, am Heiligabend, schlug seine Blase Purzelbäume, so dringend wollte sie das Glas jüdischen Wein wieder abschlagen, das er nur aus Höflichkeit getrunken hatte. Da stand er also vor dem Pissoir in einem Restaurant, das jeden Augenblick in die Luft fliegen konnte. Er hatte Angst, den Reißverschluss runterzuziehen und sein zitterndes Geschlecht den Krankheitskeimen auszusetzen, die, grinsend wie Totenschädel und feixend wie Tunten, an einem schmutzigen Ort wie diesem auf der Lauer liegen mussten, wie ihm sein gesunder Menschenverstand sagte.
Als er durch das schmierige Fenster über seinem Kopf den Stern erblickte, fasste er vorübergehend wieder Mut. Die göttliche Liebe und Fürsorge Jesu durchdringt alles, selbst dieses feststehende Ziel an diesem fürchterlichen Abend, sagte er sich und griff entschlossen nach dem Mantelzipfel des Christkindes, um sich zu beruhigen. Er stand so weit es der Strahl erlaubte vom Pissoir entfernt und verrichtete vorsichtig sein Geschäft. In einer Stunde wäre der schlimmste Heiligabend seines Lebens vorüber, und er läge mit Patsy gemütlich aneinandergekuschelt in der relativen Sicherheit ihres Zimmers im Waldorf-Astoria.
Hat keinen Sinn, sich so anzustellen
, dachte er. Er seufzte und entspannte seinen Schließmuskel. In diesem Augenblick aber verschwand der Stern, verdunkelt von einem fremdartigen Gesicht, das sich plötzlich gegen das Fensterglas presste, einem dunklen, semitischen Gesicht, das finster unter einer zerrissenen weißen Kopfbedeckung hervorblickte. Verlin trat zurück, und sein Wasser spritzte über eine bambusbedeckte Wand. «Terroristen!», schrie er, und dann fiel er glatt in Ohnmacht.
Niemand hörte Verlins Schrei. Roland Abu Hadee und seine Frau Nabila waren in der Küche, der eine mit Geschirrabwaschen, die andere mit Vorbereitungen für Kaffee und Nachtisch beschäftigt. Patsy und Ellen Cherry saßen im Speisesaal und waren ins Gespräch vertieft – es war ihre erste Gelegenheit, unter vier Augen zu reden. Sie hatten den ganzen Tag mit Einkäufen verbracht, Verlin und seine Kreditkarten im Schlepptau, und nach einem Bad und einem Nickerchen in ihrem jeweiligen Quartier hatte auch schon die ausgiebige Dinnerparty begonnen.
Für diese Feier gab es mehr Rechtfertigungen als Eiterpusteln in Buddy Winklers Gesicht. Erstens feierte das ganze Land Weihnachten und Chanukka. Dann war es Verlins und Patsys erster Besuch in New York. Als Nächstes wäre der erst vor kurzem eingetrudelte Brief vom Polizeichef zu erwähnen, der dem I & I die Genehmigung für eine Wiedereröffnung erteilte, nachdem es im Anschluss an die Schüsse im November hatte schließen müssen. Und nicht zuletzt war Spike Cohen erst einen Tag zuvor aus dem Krankenhaus entlassen worden. Man hatte sogar ausgemacht, dass er irgendwann während der Party zu ihnen stoßen würde. Er würde die erste Hälfte des Abends mit seinem Sohn auf einer Chanukka-Feier verbringen und dann mit dem Taxi ins I & I kommen. Mitternacht war jedoch bereits verstrichen, ohne dass Spike aufgetaucht wäre. Schließlich kam man überein, die Chanukka-Party habe ihn gewiss so erschöpft, dass er wahrscheinlich direkt ins Bett gegangen sei. Alle hofften, dass ihm nichts zugestoßen war.
Spikes
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