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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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Schussverletzung im Besonderen und Gewalt im Allgemeinen hatten das Tischgespräch beherrscht – Verlin steckte voller paranoider Fragen, auf die Abu philosophische Antworten gab –, nun aber, da Mutter und Tochter allein waren, kamen sie wie üblich auf die Liebe zu sprechen.
    «Okay», sagte Ellen Cherry. «Hier ist Boomers erster Brief.» Sie zog ein oder zwei mit kindlichen Bleistiftkritzeleien bedeckte Blätter aus einem dünnen Luftpostumschlag. «Das meiste ist über Jerusalem. Hier zum Beispiel schreibt er: ‹Es ist eine Stadt, die auf anderen Städten erbaut wurde, doch eine soll noch kommen, die letzte, wie Buddy meint, und das ist das Neue Jerusalem. Als Erstes verpasst Jerusalem Dir einen Kulturschock. An jeder Ecke prallen brodelnde Kulturen aufeinander. In Israel hab ich die wunderbarsten und die schlimmsten Menschen der Welt getroffen. Harte Cowboytypen, die keinen Schritt ohne ihre Uzis machen, überzeugte Fanatiker verschiedenster Glaubensrichtungen. Leute, so gastfreundlich und mitfühlend, dass man heulen könnte, und andere mit diesem hinterhältigen Zug, der typisch ist für Menschen mit beschränktem Horizont.›
    Dann geht es weiter: ‹Auf den ersten Blick würde man schwören, dass die Leute hier sehr erdverbunden leben, das gefällt mir natürlich, aber irgendwie sind sie dann doch nicht wirklich mit der Erde verbunden, selbst wenn sie sie bearbeiten. Kopf und Herz schweben schon irgendwo in den Wolken. Buddy behauptet ja, dass Jerusalem in allernächster Zukunft gen Himmel auffahren wird. Wenn du mich fragst, macht das keinen großen Unterschied zu jetzt.›
    Lass mal sehen …, na ja, so geht es eine Weile weiter. Dann erzählt er, wie gut sein Museumsprojekt läuft. Und gleich danach wirft er mir einen Brosamen hin und schreibt, wie sehr er sich darauf freut, mich bald wiederzusehen. Obgleich das gut bis nach Thanksgiving dauern könnte. Das ist es. Das ist der erste Brief.» Ellen Cherry blickte zu ihrer Mutter auf, doch Patsy lächelte nur und zuckte die Achseln.
    «Na gut. Hier ist der nächste.» Sie öffnete einen zweiten Umschlag. «Mami, willst du noch schnell ein Glas Wein? Daddy würde es gar nicht mitkriegen.»
    «Lieber Himmel, nein, Schatz. Ich bin nich an Alkohol gewöhnt. Er macht mich nur dumm im Kopf.»
    «Na, wie du willst. Jedenfalls, dieser hier fängt an mit: ‹Liebstes Zuckerpfläumchen.› Hast du jemals so was gehört? Ich meine, wer würde so was schreiben, außer Boomer? ‹Liebstes Zuckerpfläumchen. Diese ausgetickte Stadt hat mich völlig in ihren Bann gezogen. Manchmal fasziniert sie mich, und manchmal möchte ich kotzen. Mal fühlt man sich inspiriert und rein und gleich darauf wieder so, als hätte man in einem Haufen Scheiße übernachtet. Und nur, weil Jerusalem so verflucht
heilig
ist. Sieht mir ganz so aus, als würde das Leben in einer heiligen Stadt die Leute entweder besonders brutal und gewalttätig oder besonders liebenswert machen. Manche von diesen religiösen Brüdern hier sind zum Fürchten. Das Gleiche gilt für die ganze Stadt Jerusalem, so schön sie auch ist, und du weißt ja, wie ich auf Sachen reagiere, die mir Angst machen. Ich muss mich mit ihnen auseinandersetzen.›
    Na ja, dazu sag ich gleich noch was. Ich überspringe jetzt ein paar Absätze, weil Daddy jeden Augenblick wiederkommen kann, und außerdem ist Boomers Handschrift eine Zumutung. Jedenfalls schreibt er weiter, dass er einen israelischen Bildhauer kennengelernt hat, dessen Arbeit in der Ausstellung gezeigt wird, an der auch Boomer beteiligt ist, und dass dieser Bildhauer in einem Kibbuz außerhalb von Jerusalem wohnt, eine Art Künstlerkibbuz, wo es eine Gießerei und eine Metallwerkstatt gibt, und dass sie schon lange nach einem erfahrenen Schweißer gesucht haben, weil der, den sie hatten, wieder zur Armee zurückmusste. Natürlich hat der gute Boomer angeboten, ihnen aus der Patsche zu helfen.»
    «Na, das war doch sehr nett von ihm.»
    «Kann schon sein. Falls es dir nicht aufgefallen ist, er hat vergessen zu erwähnen, ob dieser Bildhauer männlichen oder weiblichen Geschlechts ist.»
    «Ach, Liebling!»
    «Okay, ich bin also albern. Aber hör zur. ‹Wenn ich wirklich im Kibbuz› – er buchstabiert es K-i-e-b-u-t-s – ‹arbeiten sollte, wird sich meine Rückkehr nach New York um einen oder zwei Monate verschieben, aber das stand ohnehin an. Buddy hat mir vor ein paar Tagen einen Haufen Geld geschickt und gefragt, ob ich ihm einen Gefallen tun und ein

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