Salomes siebter Schleier (German Edition)
Schweißtropfen sehen, der dem Quarterback auf dem Weg zum Tor über die Stirn läuft. Teufel auch, vielleicht wär man sogar imstande, Tom Landrys Zähne zu zählen …»
Es dauerte fast eine Stunde, den Fernseher aufzubauen, und ohne Verlins fachmännische Hilfe hätte es noch länger gedauert. Dem Ingenieur ist bekanntlich nichts zu schwör, und Verlin gab sein Bestes. Als das Gerät angeschlossen und eingestellt war, machten es sich alle gemütlich und sahen sich die zweite Hälfte von
Das Leben ist wundervoll
an. Natürlich blieb dabei kein Auge trocken.
Zwar hatte der Speisesaal im Isaac & Ishmael’s den ganzen Herbst hindurch buchstäblich leer gestanden, doch hatte die Bar allmählich eine kleine Schar von Stammkunden angezogen, hauptsächlich Junggesellen oder gelangweilte Ehemänner, die im UN -Hauptquartier arbeiteten. Sie trudelten spätabends auf ein Maccabee-Bier und eine Portion von Abus Falafel ein. Die Schießerei hatte dem Ganzen ein Ende gemacht, doch Spike hoffte, mit der überdimensionalen Glotze die Burschen zurückholen und noch ein paar andere anlocken zu können. Hätte er geahnt, wie sehr das Gerät eines Tages, wenn auch indirekt, ihrer aller Leben beeinflussen würde, dann hätte er in dieser Nacht aus anderen Gründen Tränen vergossen als über Jimmy Stewarts Erscheinung.
Es war schon nach zwei und eine leibhaftige Gähnepidemie ausgebrochen, als die Versammelten ihre leichten Mäntel überstreiften und sich gegenseitig gute Nacht und fröhliche Weihnachten wünschten. Als Abu Ellen Cherry umarmte, fiel ihm plötzlich etwas ein. «Ach richtig, das hätte ich fast vergessen. Ihr Löffel.»
«Was?»
«Ihr Löffel. Er war in der Papiertüte mit dem Essen damals. Die Polizei hat ihn zurückgegeben.»
«Ich weiß beim besten Willen nicht, wovon Sie reden, Mr. Hadee. Ich erinnere mich weder an einen Löffel noch an eine Papiertüte.»
«An dem Abend, als die Schießerei war. Wissen Sie nicht mehr? Sie haben vor dem Restaurant eine Tüte fallen lassen, und das gesamte Polizeiaufgebot ging in Deckung. Es muss Ihr eigener Löffel gewesen sein, denn er war zu fein und zu angelaufen für einen von unseren. Jedenfalls bin ich jetzt endlich dazu gekommen, ihn zu restaurieren. Es ist eine Schande, Patsy. Haben Sie vergessen, Ihrer Tochter beizubringen, wie man Silber putzt?»
Abu wandte sich ab und ging in die Küche. Ellen Cherrys Gesichtsausdruck war leer wie die Tanzkarte einer Querschnittsgelähmten. «Ich habe keine Ahnung, was er meint», sagte sie, als sie Spike Cohen umarmte und küsste. Dann flüsterte sie ihm ins Ohr: «Ihr großer Fernseher hat meinem Daddy den Tag gerettet. Er war das Einzige, was ihm in New York gefallen hat.»
«Haben Sie stets Respekt vor Ihrem Papa», mahnte Spike. Seine glitzernden grünen Augen nahmen sie aufs Korn. Unter dem weißen Verband schimmerten sie noch grüner als sonst. «Gleich nach Silvester werd ich Ihnen besorgen eine hübsche Galerie, kleine Künstlerin.»
«Kellnerin», verbesserte sie ihn. «Kleine Kellnerin.»
Abu kehrte mit einem schimmernden Dessertlöffelchen aus der Küche zurück. Ellen Cherry untersuchte es und riss vor Erstaunen den Mund auf. In Sekundenschnelle flog ihr ganzes Leben an ihr vorbei, und die Gänsehaut auf ihrem Rücken brachte Scharen von kleinen Gänsehäuten hervor. «Wie um alles in der Welt …?» Selbst ihr Haar hätte sich gesträubt, wäre es nicht so schrecklich struppig gewesen.
Spoon selbst war unendlich erleichtert über diese Wiedervereinigung. Allerdings war sie aufgrund von Abus Aufmerksamkeiten ohnehin schon selig. Dieses liebevolle Können, mit dem er sie eingeseift, abgespült und poliert hatte, liebe Güte, sie dachte, sie würde sterben und geradewegs zum Himmel auffahren.
Bei der pompösen Weihnachtsfeier in der Radio City Music Hall am nächsten Nachmittag hätte Ellen Cherry ebenso gut mit verbundenen Augen erscheinen können. Ohne auf die über die Bühne wippenden Rockettes in ihren knappsitzenden Weihnachtsmann-Kostümen zu achten, wälzte sie die gleichen Gedanken, die sie fast die ganze Nacht wach gehalten hatten.
Sie
könnte
sich irren und den Löffel doch nicht in der Höhle vergessen haben, doch wie hätte er dann in den vergangenen zwanzig Monaten völlig unbemerkt bleiben können? Unmöglich. Es sei denn, Boomer hatte ihn aus irgendeinem blödsinnigen Grund versteckt, als dummen Witz sozusagen. So was war Boomer durchaus zuzutrauen, obgleich er den Löffel von seinem
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