Salomes siebter Schleier (German Edition)
Kibbuz aus sicher nicht in ihre Tüte hätte schmuggeln können. War es ein unheimliches parapsychologisches Phänomen? Oder war sie dabei, ihren jungen Verstand zu verlieren?
Ihre Eltern fanden ihre Reaktion übertrieben. Sie waren sich sicher, dass es eine logische Erklärung für die Sache gab und dass sie schon irgendwann von selbst drauf kommen würde.
«Du machst aus ’ner Mücke ’nen Elefanten», sagte Verlin. «So weit kommt’s, wenn man sich mit der Kunst einlässt, ich hab schon immer gesagt, du sollst die Finger davon lassen!»
«Reg dich nicht auf, Liebling», riet Patsy. «Wunder mit Silber aus zweiter Hand sind äußerst selten.»
Nach der Vorstellung nahmen sie ein Taxi zum Ansonia, wo sie in Ellen Cherrys Apartment ihre Geschenke auspacken und das Weihnachtsessen zu sich nehmen wollten. Während der Taxifahrt war Patsy mindestens genauso versonnen wie ihre Tochter. Seufzend sagte sie: «Wenn ich bei meiner Tanzerei geblieben war, hätt ich jetz da oben stehen können.»
Verlin widerstand dem Verlangen, am Weihnachtstag an ihrer Moral zu zweifeln, und schüttelte den Kopf: «Dazu bist du viel zu klein», sagte er.
Raoul Ritz öffnete ihnen die Tür. An seinem Hut klemmte ein Mistelzweig. Ellen Cherry zögerte keine Sekunde. Sie küsste ihn mitten auf den Mund und steckte ihm sogar einen Augenblick die Zunge rein. Der Blitz, der zwischen ihren Schenkeln aufzuckte, musste ihr Höschen zum Schmelzen gebracht haben. Sie konnte spüren, wie es anfing zu tropfen. Keine Frage, dass sie Raoul eingeladen hätte, noch am selben Abend nach Schichtende vorbeizukommen, hätte sich nicht das Geheimnis des verlorenen Löffels gleich wieder dazwischengedrängt. Sie riss sich zusammen und schob ihre Eltern Richtung Aufzug. Sie musste unbedingt wissen, ob der Löffel noch da war.
«
Felices Navidades
, Miz Charl», rief Raoul und fuhr mit einem gitarrenverhornten, nikotingebleichten Finger über seine frisch geküssten Lippen. «Ham Sie mein’ Song gehört, Mann?»
«Welchen Song?», fragte Ellen Cherry, doch im gleichen Augenblick schloss sich die Aufzugtür.
«Ist
der
süß», sagte Patsy.
Verlin warf ihr einen finsteren Blick zu.
Ellen Cherrys Hand zitterte förmlich, als sie die Schublade aufzog. Aber da lag der Löffel, so prosaisch und leblos wie das rostfreie Besteck neben ihm, obgleich er, dank Roland Abu Hadee (so glaubte Ellen Cherry jedenfalls), auf eine Weise funkelte, die dem restlichen Besteck die Schamröte ins Gesicht treiben musste.
Daddy hat recht, ich bin dumm
, dachte sie. Trotzdem nahm sie den Löffel heraus und war im Begriff, ihn auf den Sims des längst nicht mehr genutzten Kamins zu legen, als Reverend Buddy Winkler aus der Halle anrief.
«Los, lass ihn rein», sagte Verlin. «Höchste Zeit, dass dieses Weihnachten zu sei’m Christkind und sei’m Football kommt!»
Wie ein Maiskolben mit einem Diamanten am Aufschlag wirkte Buddy auf schäbige Art protzig. Sein blauer Armani-Anzug war weder ausgebeult noch verknittert, doch das weiße Hemd war so steif gestärkt, dass man damit ein Fenster hätte verbarrikadieren können, und die Krawatte nicht nur schlecht geknotet, sondern auch drei Zentimeter zu breit. Schlimmer noch, sie war braun. Mit neonfarbenen Pfauen drauf. Ellen Cherry hatte Buddy vor kurzem im Fernsehen gesehen, wo er eine Krawatte mit der Aufschrift «Jesus ist der Herr» getragen hatte. Wenn sie es recht bedachte, war sie froh, dass er sich heute für bunte Vögel entschieden hatte.
Reverend Buddy Winkler hatte noch immer keine eigene TV -Gemeinde. Im Gegenteil, fast ein Drittel der Radioanstalten, die der Southern Baptist Voice of the Sparrow Network angeschlossen waren, hatte seine Sonntagspredigten abgesetzt, weil er in seinen politischen Ansichten, besonders in puncto Naher Osten, zusehends militanter wurde. Dabei hatten sie gar nicht unbedingt etwas gegen seine Ansichten, sondern eher gegen seine detaillierten Beschreibungen der Schrecken des Weltuntergangs, in die er die ganze Überzeugungskraft seines Saxophons legte. Das offensichtliche Vergnügen, mit dem er die grausamsten Gemetzel voraussagte, hatte so manchem Zuschauer das Frühstück im Hals stecken bleiben lassen. Trotzdem verbreitete sich Buddys Ruhm unaufhaltsam. Immer wieder erschien er bei Sendungen anderer Evangelisten als Gastredner, und die Medien hatten gelernt, dass auf seine haarsträubenden Äußerungen stets Verlass war. Es war vor allem Buddys Verdienst, dass die Third Temple Platoon
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