Salomes siebter Schleier (German Edition)
besonders bei christlichen Fundamentalisten an Glaubwürdigkeit gewonnen hatte. Buddys Geschick, wenn es darum ging, rechtsradikalen Gojim das Geld aus der Tasche zu ziehen, sicherte ihm die Dankbarkeit radikaler Zionisten, die es nicht störte, dass er einen Teil der Spenden für Goldzähne und italienische Designeranzüge ausgab.
Vielleicht von Patsys Gegenwart eingeschüchtert, hielt sich Buddy an diesem Tag bei Tisch zurück. Sicher, sein Gebet zog sich derart in die Länge, dass die Sauce zu erstarren drohte. Und einmal begann er, den Trichter des Saxophons einigermaßen mit kandierten Süßkartoffeln und Marshmallows gestopft, die diversen sündigen Aktivitäten der Menschheit aufzuzählen, mit Schwerpunkt auf Sex, Alkohol, Drogen und Sozialismus. Bud zufolge war der Allmächtige stinksauer. «Aber was erwartet er?», sagte Patsy. «Er hat sich seit zweitausend Jahren nich mehr blickenlassen. Geht die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch.»
Im Großen und Ganzen jedoch verlief das Fest ohne Zwischenfälle. Ellen Cherry konzentrierte sich auf die Kochkunst ihrer Mutter und warf nur hin und wieder einen verstohlenen Blick auf den Löffel auf dem Kaminsims, und ein- oder zweimal schloss sie die Augen und stellte sich Raoul vor.
Wenn das Ende der Welt tatsächlich so nah ist
, dachte sie,
sollte ich sie noch ein bisschen genießen
.
Nach Kürbis-Pie, Hackfleischpastete und englischem Kuchen schoben sie ihre Stühle vom Tisch. Nicht sehr weit. Bei all den Bildern, die an den Wänden lehnten, blieb nicht viel Platz für vier überfressene Erwachsene.
«Warum zeigst du uns nich deine neuen Bilder, Kleines?», fragte Patsy.
«Es sind alles alte, Mama. Ich hab dir doch erzählt, dass ich schon seit Herbst nicht mehr male.»
«Für uns sind sie neu.»
Ellen Cherry wurde unsicher. «Nei-ei-ein. Lieber nicht.»
«Ach komm, stell dich nich so an! Wir sind eine Familie; uns interessiert, was du machst. Verlin, stell endlich die verdammte Glotze ab und schau dir an, wie viel Talent deine Tochter hat.»
«Oh, Mami!»
Buddy fuhr sich übers Kinn. Seine Pusteln waren noch nicht ganz rot genug, um als Christbaumkugeln durchgehen zu können. «Ja, genau, Kleines, lass uns sehn, wie du Gottes Gaben nutzt!»
Gegen besseres Wissen fing Ellen Cherry an, die Bilder umzudrehen, wobei sie sorgfältig darauf achtete, dass keiner der lebensgroßen Akte von Boomer dabei war.
«Hmm», sagte Verlin.
«Jessas», sagte Buddy.
«Sehr gut, Schatz», sagte Patsy.
Insgeheim dachten alle drei ungefähr das Gleiche
: Wenigstens is es nich mehr so ein wüstes Durcheinander wie vorher. Wenigstens nimmt sie jetzt die richtigen Farben für alles. Aber wer um alles in der Welt würde …
Mit anderen Worten, die Familie war nicht beeindruckt. Eine Spur beunruhigt vielleicht. Doch jedes Mal, wenn ein neues überlebensgroßes Porträt von der Bohnendose, dem Löffel oder der verknautschten Socke –
Wer um alles in der Welt …? –
enthüllt wurde, konnte sich Spoon auf ihrem Hochsitz kaum halten. Am liebsten wäre sie vom Kamin gesprungen und hätte einen Freudentanz aufgeführt.
Verlin fixierte wieder das fliegende Leder, das undeutlich inmitten des Geflimmers, der Streifen und der verwischten Schemen auf dem winzigen tragbaren Schwarzweißfernseher zu erkennen war, den Buddy auf sein Drängen hin mit ins Ansonia gebracht hatte. Es war ein spannendes Spiel, ein Meisterschaftsspiel, und es auf dem herrlichen Bildschirm des I & I zu sehen, ohne diesen flimmernden Schleier elektroblauer Aalspucke, hätte die damit einhergehende Gefahr für Leib und Leben beinahe gelohnt. Wäre es die Super Bowl gewesen, hätte er es fraglos riskiert.
Weihnachten ist Weihnachten
, dachte Verlin,
aber die Super Bowl, potztausend, die lässt man sich nich entgehn
.
Als Patsy anfing, den Tisch abzuräumen, stand Ellen Cherry auf, um ihr zu helfen. Doch dann griff der Prediger nach einem der Gemälde, die noch an der Wand lehnten, und sie blieb wie versteinert stehen. «Nein, Onkel Buddy! Lass das!»
Zu spät. Er drehte das Bild um und trat einen Schritt oder zwei zurück, um es zu betrachten. Zum Glück war es nicht einer der Boomer-Akte, auf denen sein glorifizierter Penis schlaff wie eine umgedrehte Eistüte herabhing (mal ein Klecks Himbeer, mal eine Kugel Kiwi), sondern ihr letztes Bild, das Porträt mit den vielen Zungen.
«Jessas», sagte Buddy. «Was ham wir denn hier? Ts-ts. Wenn da nich der Teufel seine Hand im Spiel hat,
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