Salomes siebter Schleier (German Edition)
Sternen.
Sie rechnete damit, dass Ultima sie warten lassen würde – das machten Galeristen gern so, damit der Eindruck entstand, sie seien so beschäftigt wie Ärzte und so wichtig wie Anwälte –, doch der Schnee war noch nicht ganz von Ellen Cherrys roten Gummistiefeln geschmolzen, als sie schon aufgerufen wurde. Während sie der Angestellten in Ultimas Büro folgte, schützte sie ihre Augen vor den Leon-Golub-Lithographien an den Wänden. Kunstweh. Doch dann vergaß sie die Gefahren der Kunst, denn jetzt drohte ein Hund. Drei Köter, genauer gesagt, drei behalsbandete, parfümierte, aber ungezähmte kleine Wadenbeißer, die sich kläffend und mit gebleckten Zähnen auf sie stürzten. Ultima erschien in einer eleganten Seidenwolke und scheuchte zwei davon. Der dritte schnappte weiter nach Ellen Cherrys Ferse. Sie ertappte sich bei einem Gedanken an Jezabel und schützte jeden Teil ihres Körpers, bis auf den Schädel, die Füße und die Handflächen.
«Baby Butts!», rief Ultima streng, aber zärtlich. «Böses Hündchen!»
«Blödes Vieh», fluchte Ellen Cherry leise. Sie konnte schwören, Spuren von Schaum in den Hundemaulwinkeln entdeckt zu haben.
Ultima hockte sich auf den blankpolierten Holzboden. Unter dem unproportionierten Gewicht ihres Busens wäre sie beinahe vornübergekippt, aber sie stützte sich gerade noch rechtzeitig auf, um nicht ihrerseits ein Stück aus Ellen Cherrys Stiefel zu beißen. «Hierher, Baby Butts, komm zu Frauchen», flötete sie, und der Köter sprang, noch immer knurrend und schäumend, in ihre Arme. «Gib Frauchen ein Küsschen.»
Das darf doch nicht wahr sein!
, dachte Ellen Cherry.
Soll das heißen, Boomer hat den Mund geküsst, den vorher diese Töle abgeschleckt hat?
Obgleich sie nach dem langen Marsch ziemlich durchgefroren war, lehnte Ellen Cherry Kaffee, Tee und Sherry ab. Sie versuchte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, aber sie wollte wirklich nur ihr Geld abholen und dann nichts wie weg. Ultima spielte mit. Mit der einen Hand streichelte sie Baby Butts, während sich die beiden anderen Hunde unter dem Frank-Lloyd-Wright-Schreibtisch balgten, und mit der anderen zog sie einen Scheck aus einer Schatulle und reichte ihn Ellen Cherry, die es schaffte, ihn ihr mit spitzen Fingern aus der Hand zu ziehen, ohne dass Blut floss. Allerdings verlor sie ein wenig Farbe.
«Stimmt was nicht?»
«Äh, na ja, abgesehen von der Tatsache, dass Baby Butts ihn vollgesabbert hat, hab ich ein bisschen mehr erwartet, schätze ich.»
«Mehr als sieben Riesen?»
«Die Ausstellung war ausverkauft. Sie muss zirka hunderttausend gebracht haben.»
«Mehr. Aber dann kamen die Abzüge.»
«Ihre Kommission.»
«Die Kommission der Galerie, ja. Einkommen- und Gewerbesteuer. Und Mr. Petway hatte gewisse Bedürfnisse. Offenbar ist Stahl recht kostspielig in Palästina. Er arbeitet –»
«– an einer großen Skulptur. Ja, ich weiß.»
Glaubt sie etwa, Boomer schreibt mir nicht
?
Die beiden Frauen starrten einander so lange und feindselig an, dass Baby Butts anfing zu winseln. Die Erkenntnis, dass er das Machtmonopol im Raum verloren hatte, schien ihn zu überraschen und zu kränken. Schließlich begann Ultima zu lächeln und hielt ihr einen zweiten Scheck hin. «Herzlichen Glückwunsch», sagte sie.
«Was ist das?» Ellen Cherry nahm das Dokument langsam und vorsichtig entgegen, aber der Hund tat keinen Muckser. Es war ein Scheck über achtzehnhundert Dollar.
«Zwei Ihrer Werke sind verkauft», sagte Ultima. «Sicher ist Ihnen bekannt, dass in letzter Zeit das Interesse an Landschaftsmalerei wieder aufgeflammt ist. Ich meine, es gibt ja auch kaum noch echte Landschaften. Die Sammler bevorzugen natürlich naturalistische Darstellungen, aber der Vorrat an erstklassigen
œuvres
geht zur Neige. Auf alle Fälle habe ich Ihre Bilder einem Ehepaar aus Rochester gezeigt, das an Ihren, äh … Exzessen offenbar keinen Anstoß nahm. Also nochmals herzlichen Glückwunsch, meine Liebe, zu Ihrem ersten Verkauf in New York. Vielleicht sollten Sie mir ein paar neue Bilder vorbeibringen.»
«Danke», sagte Ellen Cherry. «Vielen Dank. Vielleicht mach ich das.» Da sie nicht wollte, dass Ultima sich an ihrer Verwirrung aufgeilte, entschuldigte sie sich und rauschte zur Tür hinaus.
Als sie durch den hohen Schnee nach Hause stapfte, in jeder Faust einen Scheck wie zwei chinesische Handwärmer, hatte sie nur noch einen Gedanken:
Jetzt kann ich Mr. Cohen wenigstens erklären, warum ich meine
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