Salomes siebter Schleier (German Edition)
könnte den dritten Weltkrieg auslösen.»
«Da hast du verdammt recht. Darum geht’s ja grade.»
«Willst du mir etwa erzählen, dass du bereit bist, mit dem Leben von Milliarden unschuldigen Menschen zu spielen, das Leben jeder Kreatur auf Erden zu riskieren, Tiere, Bäume, kleine Kinder, damit sie in Feuerstürmen verglühen, mit Ätzwunden und Verbrennungen übersät an der Strahlenkrankheit krepieren? Was für ein schreckliches, schreckliches Leid, was für Schmerzen –»
«Halt, stopp! Moment mal, kleines Fräulein Mitgefühl! Das is kein Spiel! Das Wort Gottes is kein Lotterieschein. Es
wird
in Erfüllung gehn, da kannst du Gift drauf nehm’. Seine Warnungen sind so unübersehbar wie der Puder auf deiner Nase. Und es wird schrecklich wer’n. Der Herr hat gewollt, dass es schrecklich wird. Aber die Rechtschaffnen wer’n es überstehn, jawohl. Jesus wird die Gläubigen zu sich rufen, und sie wer’n in den Genuss des ewigen Lebens kommen. Die Verbrennungen wer’n heilen und die Wunden verschwinden. Doch was die Gottlosen und Verruchten angeht, die kriegen, was ihn’ zusteht. Sie hatten ihre Chance, und jetzt gehn sie an ihrer eigenen Lasterhaftigkeit zugrunde. Also solln die Kriegstrompeten erklingen. Solln die Bomben falln. Es is Gottes Wille, und
er
wird entscheiden, wer unschuldig ist und wer nich.»
Ellen Cherry konnte es nicht fassen. «Du bist so verdammt selbstgerecht, dass du bereit wärst, einen dritten Weltkrieg zu riskieren? Diese Last würdest du auf dich nehmen?»
«Hörst du schlecht oder was? Ich hab dir doch eben erklärt – ach, vergiss es. Dein Herz is verhärtet. Ich weiß nich, wo du dich zu dieser unchristlichen Stunde rumtreibst, aber ich fleh dich an, geh nach Haus und lies die Heilige Schrift, und dann knie neben dei’m Bett nieder, aus dem du deinen Angetrauten vertrieben hast, und bete. ‹So tut nun Buße und bekehret euch, dass eure Sünden getilgt werden; auf dass da komme die Zeit der Erquickung vor dem Angesichte des Herrn, wenn er senden wird den, der euch jetzt zuvor gepredigt wird, Jesus Christus.› Apostelgeschichte drei, neunzehn.»
«Die Zeit der Erquickung nennen die das?»
«Ganz recht. Erquickend wie Cola.»
«Ich hätte nicht übel Lust, den Bullen zu erzählen, was du vorhast.»
Buddy gluckste in sich hinein. «Welchen Bullen? Die hiesige Polizei hat da überhaupt nix zu sagen, und die israelische is größtenteils auf meiner Seite. Die rechtschaffnen Juden sehnen die Erlösung genauso herbei wie die Christen. Klar, nach Jesu Wiederkunft wer’n all die Juden, die’s wert sind, gezwungen zu konvertieren. Im Neuen Jerusalem sind wir Christen unter uns.»
«Und was wird aus den Moslems? Den Buddhisten und Hindus?»
«Hackfleisch.»
Ellen Cherry knallte den Hörer auf die Gabel. Die ganze Nacht und viele weitere Nächte kochte sie vor Wut über Buddy, wenn sie sich nicht gerade den Kopf über das Künstlerdasein zerbrach. Mit Buddys faulem Zauber, mit dem I & I und seiner Raison d’être, und mit Boomer, der da drüben mit weiß der Geier welchem Mumpitz die Zeit vertrödelte – kein Wunder, dass es da immer schwieriger wurde, den nahöstlichen Teppich im Wohnzimmer ihres Bewusstseins zu verlegen.
In all den Jahren, die Ellen Cherry Buddy Winkler kannte, hatte sie noch nie einen Satz aus seinem Mund gehört, der nicht auf irgendein Klischee hinauslief. Sie schloss, dass der institutionalisierte Glaube dergleichen bewirkte. Er machte den Leuten nur Gedanken aus zweiter Hand zugänglich. Er zwang sie zu einem Leben aus zweiter Hand. Und war das nicht auch der Berührungspunkt zwischen Religion und totalitärer Politik? Nazi-Deutschland, die Inquisition, der Stalinismus, die Kreuzzüge, all das konnte nur passieren, weil man zugelassen hatte, dass die Realität von Klischees verdrängt wurde.
Hinter dem sechsten Schleier lag, wie eine Perle unter Gaze, die Erkenntnis, dass «das Ende der Welt» das gefährlichste aller Klischees war. Unfähig, den Schleier zu lüften, sich der Existenz des Schleiers nicht einmal bewusst, konnte Ellen Cherry nur vor Wut kochen – und sich fragen, warum Buddy eine solche Schwäche für die Apokalypse hatte.
Weil ihr Eintreffen bedeutete, dass seine Seite schließlich doch gewonnen hatte?
Weil die verwirrende, geheimnisvolle Unvollkommenheit des Lebens damit ein für alle Mal zum perfekt geformten, völlig in sich ruhenden, massiv goldenen Monolithen des Lebens nach dem Tode erstarren würde?
Weil er einsam
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