Salomes siebter Schleier (German Edition)

ein langes, dramatisches Schweigen. Das Schweigen war fast so lang wie der East River, dieses schmuddelige Waisenkind des Ozeans, das hinter ihnen verlief wie eine bis zum Rand mit Rotze gefüllte Gosse. Und es war beinahe so dramatisch wie das UNO -Gebäude, dieser moderne Turm zu Babel, Sitz des Egos, der Chiffren, der Hoffnung und des Misstrauens, der sich einen Block weiter südlich in den bewölkten Himmel erhob. Es war ein langes, dramatisches Schweigen, während dessen Spike – so Ellen Cherrys Eindruck – wollüstig auf ihre Leinenschuhe schielte.
    Spike Cohen war beträchtlich kleiner als Abu Hadee, stämmiger und gewöhnlich lebhafter als er. Während Abu so still wie das Auge eines Hurrikans schien, war Spike der Wirbelwind, der es hektisch umkreiste. Sein Haar schimmerte silbern wie ein königliches Teetablett. Er kämmte es mit Hilfe von etwas Brillantine glatt nach hinten. Es erinnerte an die mondhelle Gischt an einem chromfarbenen Strand, an eine Welle, die über ein tropisches Detroit rollte. Seine Gesichtszüge waren so fein wie die der Gipsstatuen auf einem dieser Poster in griechischen Lebensmittelläden, die Augen jedoch alles andere als klassisch: funkelnde Smaragde, die aussahen, als hätte man sie dem Standbild eines Jaguars aus den Höhlen gerissen. Tatsächlich hatte er etwas Katzenhaftes an sich; mehr Schuhlöwe als Schuhwolf. Abu – der sich im Verlauf des langen Schweigens zu ihnen gesellte – war mit zunehmender Reife dazu übergegangen, dunkle, schwere Kleidung zu tragen, Spike dagegen favorisierte die orangefarbenen Sportjacketts und giftgrünen Krawatten eines Mannes, der auszog, um Rennpferde das Fürchten zu lehren.
    Abu wollte gerade anfangen, sich über das Chaos auszulassen, das die Bombensucher im Inneren des Restaurants veranstalteten, als Spike sein Schweigen beendete. «Was mir hat gefallen am meisten an Jerusalem, ist, dass es hat nichts zu tun mit Geld.»
    «Wie bitte?»
    «Hier in New York alles dreht sich ums Geld. In L.A. es dreht sich ums Geld. In Las Vegas es dreht sich ums Geld. Dallas – dasselbe. Tokio, London, Mailand, Zürich, Singapur: Der einzige Grund für ihre Existenz ist Geld. In Tel Aviv es dreht sich ums Geld. Aber in Jerusalem nicht.»
    «Er hat vollkommen recht», nickte Abu. «In Jerusalem geht es um … etwas ganz anderes.»
     
    Die Sprengstoffexperten erklärten das Restaurant für bombensicher, richteten noch ein paar Fragen an Ellen Cherry und verschwanden. Spike inspizierte das Durcheinander und meinte, wahrscheinlich hätte das I & I weniger Schaden davongetragen, wenn tatsächlich eine Explosion stattgefunden hätte. Kichererbsen kullerten gefährlich zwischen ihren Füßen herum, und halb heruntergerissene Bambusmatten hingen von den Wänden wie die runzligen Falten eines Elefanten. «Wie viel sie haben mitgehen lassen?», fragte Spike den Barmann.
    «Ungefähr zwölf Flaschen.»
    «Oj! Mit unsere beste Brandy sie spülen ihre Doughnuts runter!»
    «Wenn es noch mal eine Bombendrohung gibt, sollten wir sie unseren eigenen Sicherheitskräften überlassen», schlug Abu vor.
    «Was meinst du mit
wenn
?»
    Trotz tatkräftiger Unterstützung der gesamten Mittagsschicht brauchten die drei fast den ganzen Nachmittag, um das Restaurant rechtzeitig fürs Abendessen wieder auf Vordermann zu bringen. Gegen fünf Uhr wurden Köche und Kellner nach Hause geschickt, doch Ellen Cherry blieb noch auf ein Glas Tee mit Spike und Abu. Spike genehmigte sich einen Schuss Rum dazu. «Ojojoj», murmelte er.
    Als Ellen Cherry ihr Bedauern über die externen Probleme des Restaurants zum Ausdruck brachte, meinte Abu, sie solle sich keine Sorgen machen. «Ich finde das ziemlich schmeichelhaft», sagte er. «Es gibt eine ganze Menge Menschen, einflussreiche Leute, die gegen eine friedliche Lösung im Nahen Osten sind. Es ist doch ermutigend zu wissen, dass unser kleines Restaurant ein Zeichen setzen könnte. Sollen sie protestieren und Bomben werfen. Ich fühle mich geehrt.»
    «Ich nicht», sagte Spike. «Ich werde schon außer mir, dass Juden sich beteiligen an diese Hokuspokus. Mir bricht das Herz, obwohl ich weiß, dass in alten Zeiten die Juden waren noch schlimmer, und ihr Verhalten in der Bibel gab ein schlechtes Vorbild für die Christen, was folgten. Nichts als Mord und Totschlag.»
    Ellen Cherry fragte sich laut, wie es überhaupt Leute geben konnte, die im Nahen Osten keinen Frieden wollten, doch sogleich dämmerte ihr, dass sie besser den Mund