Samurai 3: Der Weg des Drachen
Höhe hing Jack an der Dachtraufe und schwang bedrohlich hin und her. Er sah, wie Drachenauge unter ihm vom Dach des untersten Stockwerks auf ein Nebengebäude sprang. Die Entfernung schien viel zu groß, doch der Ninja landete sicher und verschwand im Dunkel. Er selbst würde sich bei seinem Sturz vom Dach gleich alle Knochen brechen, dachte Jack.
Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Voll Panik blickte er auf die behandschuhte Hand, die ihn am Handgelenk festhielt. Zwei Augen sahen durch den Schlitz der Kapuze auf ihn herunter. Sie kamen ihm merkwürdig bekannt vor.
Dann ließ der Ninja ihn los.
45
Doppelleben
Schreiend fiel Jack durch die Luft. Der Wind sauste ihm um die Ohren. Dann schlug er au f – doch nicht auf dem Boden, sondern auf dem nächsttieferen Dach des Turms.
Einen Augenblick lang blieb er vor Schreck wie gelähmt liegen.
Dann erholte er sich. Neben ihm funkelte etwas. In dem Spalt zwischen zwei Dachziegelreihen steckte sein Schwert. Vorsichtig kroch er zu der Stelle und packte den Griff. Mit dem Schwert in der Hand fühlte er neue Kraft.
Er stand auf und steckte es in die Scheide. Jetzt musste er die steilen, einander überschneidenden Dächer wieder zum sechsten Stock hinaufklettern. Vorsichtig ging er an der Mauer entlang und spähte um die nächste Ecke. Der Ninja kam auf ihn zu. Jack duckte sich in den Schatten der Dachtraufe über sich, zog sein Kampfmesser und wartete. Als der Ninja um die Ecke bog, sprang Jack ihn an. Er drückte ihn gegen die Mauer und hielt ihm das Messer an die Kehle. Blutdurstig leuchtete die teuflische Klinge im bleichen Schein des Mondes auf.
»Nicht!«, schrie die Stimme eines Mädchens.
Fassungslos starrte Jack in die Augen des Ninjas. Sie waren schwarz wie Ebenholz.
»Akiko?«, flüsterte er. Er wagte es kaum, den Namen auszusprechen.
Der Ninja nickte genau einmal und schlug die Kapuze zurück. Akikos lange Haare fielen ihr über die Schultern.
»Ic h … ich kann dir alles erklären«, stammelte sie und blickte ängstlich auf das Messer an ihrem Hals.
»Du bist eine Verräteri n … wie Kazuki!« Jacks Hand begann vor Schreck zu zittern.
»Nein! Ich stehe auf unserer Seite.«
»Warum bist du dann wie ein Ninja gekleidet? Und hast Drachenauge gerettet?«
»Ich habe dich gerettet«, erwiderte Akiko. »Drachenauge hatte ein Messer im Ärmel versteckt. Er wollte dich töten.«
»Aber ich hatte ihm schon das Schwert an die Kehle gesetzt. Und du hast mich angegriffen! Warum sollte ich dir glauben? Du hast mich vom Dach gestoßen!«
Akiko schüttelte heftig den Kopf. »Wenn ich deinen Tod gewollt hätte, hätte ich dich einfach fallen lassen. Aber ich habe dich hin und her geschwungen, damit du auf das Dach fällst.« Sie flehte Jack mit den Augen an, ihr zu glauben. »Erinnerst du dich an den Überfall im Bambuswald? Ich war der dritte Ninja, der dich gerettet hat.«
Jack war hin- und hergerissen. Er wollte Akiko so gerne glauben, doch seine Augen sahen etwas anderes.
Akiko war ein Ninja.
Ein Feind.
»Warum hast du mich nicht einfach vor dem Messer Drachenauges gewarnt?«
Akiko wandte den Blick ab. »Ich durfte nicht zulassen, dass du ihn tötest.«
Jack schwirrte der Kopf. Also war Akiko nicht nur ein Ninja, sie beschützte auch noch Drachenauge, den Mörder seines Vaters. Wut stieg in ihm auf und das teuflische Messer in seiner Hand schien ihn darum zu bitten, die scharfe Klinge über Akikos Hals zu ziehen.
Akiko erschrak über die Wut in seinen Augen. »Bitte nimm das Messer weg«, flüsterte sie. »Ich erkläre dir alles.«
Schlagartig wurde Jack bewusst, was er da tat. Vor ihm stand Akiko, seine beste Freundin. Er musste ihr vertrauen. Seine Wut verebbte, als sei ein Bann gebrochen. Langsam senkte er das Messer und steckte es ein.
»Du darfst Dokugan Ryu nicht töten«, sagte Akiko. »Er ist der Einzige, der weiß, wo mein Bruder ist.«
»Aber Jiro ist doch in Toba«, erwiderte Jack.
»Ich spreche von meinem kleinen Bruder Kiyoshi.«
»Du hast gesagt, er sei tot.«
»Ich sagte, er hätte uns verlassen«, verbesserte Akiko ihn.
»Aber du hast im Tempel des friedlichen Drachen für ihn gebetet.«
»Ja, für seine sichere Rückkehr. Drachenauge hat ihn in derselben Nacht, in der er Tenno tötete, entführt.«
Von unten kamen Rufe und sie duckten sich tiefer in den dunklen Schatten, um von den Bogenschützen nicht gesehen zu werden.
»Meine Familie besuchte damals gerade Masamoto-sama in Kyoto. Ein Geräusch aus dem Garten weckte mich. Ich
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