Samurai 3: Der Weg des Drachen
wartest du?«, rief er barsch. »Wir verschwenden nur wertvolle Unterrichtszeit.«
Jack meinte zu spüren, dass Sensei Kyuzo sich trotz seiner äußeren Ungeduld über die Gelegenheit freute, sein Können als Krieger zu zeigen. Der Sensei litt unter seiner Kleinwüchsigkeit. Umso wichtiger war es ihm unter Beweis zu stellen, dass er stärker, schneller und geschickter war als alle anderen.
Akiko legte einen Pfeil ein, spannte den Bogen und zielte. Ihre Hände zitterten ein wenig.
Gespanntes Schweigen senkte sich über die Halle. Niemand bewegte sich. Alle warteten darauf, was Sensei Kyuzo tun würde.
Akiko schoss und der Pfeil flog auf den Sensei zu.
Sensei Kyuzo rührte keinen Muskel.
Der Pfeil flog an seiner Schulter vorbei und bohrte sich in einen Pfeiler hinter ihm.
»Ich sagte doch, du sollst auf mich schießen!«, rief er ärgerlich. »Einen Pfeil, der mich nicht trifft, brauche ich auch nicht abzufangen.«
Akiko leckte sich nervös die Lippen und legte einen zweiten Pfeil ein. Diesmal zielte sie auf das Herz des Sensei.
Jack wusste, dass sie treffen würde. Gleich würde Sensei Kyuzo sterben.
Kerzengerade flog der Pfeil durch die Luft und auf sein Ziel zu.
Im allerletzten Moment fing Sensei Kyuzo ihn mit der rechten Hand auf.
Die Schüler starrten ihn stumm an.
Einen Augenblick lang genoss er ihre entgeisterten Blicke, dann kehrte er triumphierend durch die Halle zurück und gab den Pfeil Akiko zurück.
»Noch Fragen?«
22
Liebesgedichte
»Habt ihr die Neuigkeit schon gehört?«, rief Saburo am nächsten Tag und rannte über den Hof.
Jack, Yamato und die anderen, die zum Haiku-Unterricht in die Halle des Falken unterwegs waren, blieben stehen. Saburo verschnaufte kurz.
»Gestern Abend hat jemand die katholische Kirche neben dem Kaiserpalast angezündet!«
»Dann ist also Krieg«, sagte Kiku und erbleichte.
»Nein, es war die Tat eines Einzelnen. Die Lehrer glauben, dass ein ronin sie begangen hat, der nach Edo unterwegs war. Wie ich hörte, schäumt Daimyo Takatomi vor Wut.«
»Wurde jemand verletzt?«, fragte Jack beklommen.
Saburo nickte ernst. »Ein Priester konnte nicht mehr entkommen.«
Alle schwiegen. Jack spürte förmlich, wie sich Daimyo Kamakuras Schlinge fester zusammenzog. Man hörte jede Woche von Überfällen auf Ausländer oder Priester, aber bisher war Kyoto verschont geblieben.
»Wer war der ronin?«
»Das weiß niemand. Aber auf dem Tokaido sind anscheinend viele Samurai und ashigaru nach Edo unterwegs. Sie folgen dem Ruf zu den Waffen.«
»Wo kommen sie her?«, fragte Kiku. »Daimyo Kamakuras Armee wird uns hinwegfegen.«
»Vergiss nicht, dass die vier anderen Regenten des Rats auch Armeen haben«, versuchte Akiko ihre Freundin zu beruhigen. »Zusammen sind sie viel stärker als Kamakura.«
Jack wollte gerade auch etwas fragen, doch da sah er Yori aus der Buddha-Halle kommen. »Wo warst du die ganze Zeit?«, rief er.
Sie eilten zu ihm. Yori hatte sich auf die Treppe der Halle gesetzt. In seinem Schoß lag eine kleine Messingschale. Er blickte müde zu ihnen auf, lächelte aber und schien guter Dinge.
Saburo ließ sich neben ihn fallen.
»Gestern hast du eine ganz erstaunliche Unterrichtsstunde bei Sensei Kyuzo versäumt. Er hat mit der Hand einen Pfeil aufgefangen!« Saburo packte mit der Hand einen imaginären, durch die Luft fliegenden Pfeil.
Yori zog die Augenbrauen hoch, um die Begeisterung des Freundes zu würdigen.
»Geht es dir nicht gut?«, fragte Akiko und kniete vor ihn. »Wir haben uns Sorgen um dich gemacht, als du gestern aus Sensei Yamadas Stunde weggelaufen bist.«
»Ich habe mich bei Sensei Yamada entschuldigt«, antwortete Yori leise.
»Einen ganzen Tag lang?«, fragte Kiku.
»Sensei Yamada hat mit mir geschimpft, ziemlich lange sogar. Dann musste ich den bronzenen Buddha polieren und darüber nachdenken, was er gesagt hat.«
»Aber der Buddha ist riesengroß!« Jack betrachtete Yoris kleine Hände, die vom Ruß schwarz waren. »Das finde ich ungerecht. Du bist doch nur aus seinem Unterricht weggelaufen.«
»Nein, ich habe mich sehr unhöflich benommen«, erinnerte Yori ihn. »Die Strafe war gerechtfertigt. Außerdem geht es mir jetzt besser, nachdem er mir alles erklärt hat.«
»Was hat er denn erklärt?«, fragte Yamato.
»Er meinte, dass wir uns als Samurai mit gleicher Hingabe dem Kampf und den schöpferischen Künsten widmen müssten. Es sei unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass wir einen Frieden haben, für den es sich zu
Weitere Kostenlose Bücher