Sandor Marai
Chemiker, der immerfort nach Staubkörnchen auf seinem Rockärmel
jagte, Mitglied der Turaner Gesellschaft war und Christoph von Zeit zu Zeit so feierlich
besuchte, als ginge er zu einem Vorgesetzten.
Nie aber
sprach Emma mit Christoph über ihren Gatten, über Glück oder Mißgeschick. Nie
würde Emma in einem Scheidungsprozeß eine Rolle spielen, sie war eine treue
Gattin und eine gewissenhafte Mutter. Streng bedacht auf die Erziehung ihrer
kurzsichtigen Sprößlinge, kam sie oft monatelang nicht aus dem Haus. So würde
sie wohl weiterhin schweigen, ein ganzes Leben lang. Nie würde dieser Seele ein
Mensch nahekommen. Ihre Verschlossenheit war so vollkommen und unbedingt wie
die einer Pflanze, die mit instinktiver Bereitwilligkeit ihren Kelch
verschließt. Man könnte sie verletzen, ja, man könnte sie vernichten – aber ihr
Geheimnis würde sie nicht preisgeben.
»Was ist
nur mit mir?« fragte sich Christoph und hörte nebenher ein Gespräch über die
teuren Schulbücher und die zweckmäßige Kleidung der Schulkinder. Was war denn
das? Was bedeutete diese Empfindsamkeit, die ihn plötzlich überkommen hatte –
es konnte nichts anderes sein als Nervosität. Es war doch alles Wirklichkeit
rings um ihn, daran konnte nicht gezweifelt werden! Er war vom Amt gekommen,
war von Freunden umgeben – von ein wenig zu neugierigen Freunden vielleicht,
denn diese Frage von vorhin hätte wohl unterbleiben können. Möglich, daß er
heute zuviel geraucht hatte, und vielleicht fehlte ihm auch der Urlaub, denn
jene zwei Wochen in Füred hatten keine
richtige Erholung bedeutet; ja, er war voller Gifte, Aufregungen und Arbeit.
Morgen würden vier Verhandlungen stattfinden – und in einer davon würde er
seinen Schulkameraden Imre Greiner von einer gewissen Anna Fazekas trennen,
mit der er einmal auf der Insel Tennis gespielt hatte.
Heute
morgen hatte ihn Hertha außerdem gebeten, am Abend nicht zu lange zu bleiben,
da morgen Schulbeginn war und sie die Kleinen in den Gottesdienst begleiten
wollte. Tatsächlich, es war wohl an der Zeit zu gehen. Dies war das gesellige
Leben, und vorher, am Vor- und Nachmittag, war das Amtsleben – und jetzt gingen
sie nach Hause, dies war das Familienleben. All dieses mannigfache Leben war
doch tastbar und wahrhaftig. Woran fehlte es ihm denn? Wenn er nur erfahren
könnte, was Emma jetzt dachte.
Emma aber dachte an das, was sie
gerade sagte: Es wäre wohl an der Zeit, einheitliche Schulbücher einzuführen
– am besten wäre es, wenn die Eltern ein Gesuch an den Minister richteten, daß
die Schule erst um neun Uhr begänne –, heuer würde sie schon mit dem
Religionslehrer reden und ihn bitten, Erwin zu dispensieren, denn die Jungen
hatten im vergangenen Winter ministriert und sich in den kalten Kirchen
erkältet. Später sprach sie über Kleiderstoffe und dann über Erzeys Scheidung.
Emma bedauerte sie, denn die arme Frau sei doch so verschreckt und schwach. Gestern
war sie bei Emma gewesen und hatte ihr alles erzählt und geweint. Emma hatte
sie getröstet, so gut sie dies vermochte, aber hier war wohl nichts mehr zu
retten. Diese Ehe zerfiel wie ein hohles, wurmstichiges Möbelstück, nur noch
die Form hatte sie lange Zeit zusammengehalten, innen war alles morsch. Es gab
auch niemanden, der an dieser Tragödie schuld hatte. Sie gehörten eben beide
nicht zusammen. Sie hatten sich lange Jahre hindurch gequält, dann waren sie regelrecht
krank geworden. Ludwig war wegen seines Nerven- und Magenleidens zweimal im
Sanatorium gewesen, dann kam er nach Hause, und sie begannen mit diesem
qualvollen Leben aufs neue. Ja, Adele war so arglos und unerfahren, daß sie
dies alles nicht verstehen konnte – sie konnte diesen Schlag nicht begreifen.
»Wir lieben uns doch«, hatte sie gestern zu Emma gesagt. Aber sie hatte sich
auch schon vertraut gemacht mit dem Gedanken, getrennt zu leben. Es würde dann
wohl besser sein. Besser? Kam es vor, daß im Leben je etwas besser wurde? –
Doch, dies würde besser sein als die sinnlose, langwierige Hölle, diese Jahre,
in denen alles zerfallen war, grundlos eigentlich – denn es hatte sich nichts
Abscheuliches ereignet –, Ludwig hatte Adele nicht betrogen, und es war auch
keine fremde Person aufgetaucht. Ja, es lag Unfaßbares in alldem. Nun schwiegen
alle. Hertha sah auf Christoph, er saß so einsam in ihrer Mitte, was war mit
ihrem Mann? In letzter Zeit war er recht schweigsam und ungesellig.
Christoph gewahrte plötzlich, daß ihn alle drei
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