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Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Andersch
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Füllung des Treiböltanks und der Batterie nach. Als er wieder nach oben kam, sah er den Jungen über den Kai heranschlendern. Mach fix, sagte er zu ihm, als der Junge heran war, wir fahren. Wird ja auch langsam Zeit, Käpten, antwortete der Junge. Er legte in das Wort ›Käpten‹ so viel gemachte Sympathie, daß die Frechheit beinahe ehrerbietig klang. Sie machten das Tau los und manövrierten die ›Pauline‹ vom Kai weg. Dann ging Knudsen ms Steuerhaus, ließ den Motor an und schaltete die Laternen ein. Der Motor spuckte erst ein paarmal, kam dann langsam auf Touren und mäßigte sich schließlich zu dem sanft dahin stampfenden Putputput seiner gewöhnlichen Umdrehungszahl; Gregor hörte es vom Hafenplatz aus, es schallte hohl in der Stille und brach sich an den Häuserwänden und entfernte sich nur ganz langsam; es wäre das einzige Geräusch gewesen, wenn nicht manchmal die Windböen aus den Straßen heraus gepfiffen hätten, schrille Alarmpfeifenpfiffe, die in einem wilden Johlen über der offenen See verendeten.
    Knudsen hörte die Pfiffe nur schwach, aber er spürte die Stöße der Böen und dachte: sie werden es schwer haben mit dem Rudern heute nacht, der Junge und dieser Kerl vom ZK. Der Junge verschwand gerade in der Luke zum Motorraum. Knudsen wandte sich um und blickte nach Rerik zurück.
    In diesem Augenblick erloschen die Bogenlampen auf dem Kai. Der Hafen von Rerik war einen Augenblick völlig schwarz. Über dem Schwarz standen in der gleichen Sekunde die Türme wie Monstren, völlig nackt, in blendender roter Grelle, von Blut überströmte Riesen, die sich im Todeskampf noch einmal aufgerichtet hatten, um sich auf die Stadt zu stürzen, auf die Schwärze zu ihren Füßen. Aber im nächsten Augenblick mußte die Hand auf der Schalttafel des Elektrizitätswerkes von Rerik weiter gegriffen und das Flutlicht gelöscht haben, denn auf einmal waren die Riesen nicht mehr da, in der Kürze eines Lidschlags waren sie erloschen, in der Erinnerung waren sie nicht mehr als ein roter Blitz, dem ein langhinrollender Donner aus Dunkelheit folgte.
    Knudsen sah auf seine Uhr: sie zeigte auf elf.
    Der Junge
    Einen Passagier soll ich an Bord holen, dachte der Junge, einen Passagier, der nicht gesehen werden darf, sonst ließe ihn der Schiffer nicht heimlich nachts übers Haff holen. Es geht etwas vor, dachte er aufgeregt, zum erstenmal geht etwas vor. Deshalb also ist Knudsen so lange im Hafen liegengeblieben - er hat auf einen Passagier gewartet. Der Junge prüfte die Anschlüsse der Vertederkappen nach und dann stieg er wieder nach oben und blickte auf Knudsen, der im Steuerhaus stand. Ob ich ihn frage, überlegte er, was es zu bedeuten hat, daß er einen Passagier an Bord nimmt. Aber er hatte Knudsen noch nie irgend etwas gefragt, und obwohl er fühlte, daß Knudsen ihm vielleicht eine Antwort geben würde, fragte er ihn nicht. Knudsen sah so mürrisch aus wie immer, aber der Junge spürte, daß etwas vorging und daß Knudsen zum erstenmal auf ihn angewiesen war. Jetzt gerade frag ich ihn nicht, dachte der Junge. Aber er war riesig gespannt.
    Helander
    Er fühlte sich erleichtert, nachdem Doktor Frerking gegangen war. Plötzlich hatte er sich entschlossen, den Arzt doch noch heute kommen zu lassen; er hatte sich eingeredet, heute noch Gewißheit haben zu wollen, und Frerking hatte sie ihm gegeben: die Gewißheit der Gefahr. Über den Beinstumpf gebeugt, hatte der Arzt gesagt: Sie müssen heute abend noch zu Professor Gebhard fahren, nach Rostock. Ich werde mit ihm telefonieren, daß er Ihr Bein sofort vornimmt.
    Operation? hatte Helander gefragt.
    Operation kann man das nicht nennen. Er muß das wilde Fleisch um die Wundränder wegschneiden und es dann mit einem Insulinstoß versuchen. Eine Operation ist ja bei Ihnen nicht mehr möglich.
    Frerking hatte sich in einen Stuhl zurückfallen lassen. Sie hatten sich angesehen. Der Beinstumpf lag zwischen ihnen wie irgendein Stück fremdes Fleisch. Der viel zu kurze Beinstumpf. Das Bein war dem Pfarrer seinerzeit ganz knapp unter dem Becken abgeschnitten worden. Man konnte nicht noch einmal ein Stück davon absäbeln, um die Entzündung dann weiter oben zum Stillstand zu bringen. Man konnte nicht ins Leben hinein schneiden. Helander hatte schon die Frage auf der Zunge, wie Frerkmg die Aussichten einer Heilung beurteile, aber er unterließ sie. Der Arzt hatte ›versuchen‹ gesagt, ›versuchen‹ und ›nicht mehr möglich‹. Es war alles klar. Frerking hätte

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