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Satori - Winslow, D: Satori - Satori

Titel: Satori - Winslow, D: Satori - Satori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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offensichtlich eilig, diesen Handel abzuschließen.
    »Ich fühle mich geehrt«, sagte Nikolai.
    Chen stand auf. »Ich bin sicher, Sie sind müde und möchten ein wenig ausruhen.«
    Nikolai brachte ihn zur Tür.
    Er wartete fünf Minuten, dann zog er Mantel und Hut an und trat erneut in die Kälte hinaus.

18
    Obwohl Nikolai Karten und Luftbildaufnahmen eingängig studiert hatte, konnten diese eine persönliche Ortskenntnis doch nicht ersetzen, und er wollte sich in der Stadt orientieren. Sein Überleben konnte von einer spontanen Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Seitenstraße abhängen, und für Unentschlossenheit oder Zögern würde ihm keine Zeit bleiben.
    Peking zu Beginn des Jahres 1952 war eine Stadt der Widersprüche. Die meisten ihrer Einwohner lebten außerhalb der Regierungsbezirke in den hutongs , wahren Labyrinthen aus engen Straßen, Innenhöfen und Gässchen. Das Herz Pekings bildete die Verbotene Stadt – wie der Name bereits andeutete, war sie der allgemeinen Öffentlichkeit in ihrer tausendjährigen Geschichte fast immer verschlossen gewesen. Und auch jetzt, da die kommunistische Regierung eingezogen war und viele der Gebäude in Büros und Wohnhäuser umgewandelt hatte, blieb sie größtenteils »verboten«.
    Das »andere« Peking, außerhalb der Verbotenen Stadt, war zumindest vor der kommunistischen Machtübernahme eine lebendige, aktive, kosmopolitische Stadt mit zwei Millionen Einwohnern gewesen, mit zahlreichen Märkten, Modeboutiquen, kleinen Parks und Plätzen, auf denen Jongleure, Magier und andere Straßenkünstler auftraten.
    Die Einheimischen legten dieselbe abgehetzte und hochnäsige Haltung an den Tag wie alle Großstädter. Für sie war Peking ein eigenes Universum, und damit lagen sie gar nicht so falsch. Alle waren sie in die Reichshauptstadt gekommen – nicht nur alle möglichen Chinesen, sondern auch der Rest der Welt. Und so kannte der gebildete Bürger Pekings die unterschiedlichen Kulturen Chinas, Japans und Europas. Die Wohlhabenderen hatten womöglich schon einmal in französischen Restaurants gespeist, italienische Anzüge beim Schneider bestellt und Uhren von deutschen Uhrmachern gekauft. Die meisten modernen Einwohner hatten britische Anzüge oder französische Kleider getragen und zu amerikanischer Musik getanzt.
    Trotzdem würde jeder gute Bürger Pekings, vom armen Fäkaliensammler bis zum reichsten Kaufmann, stolz behaupten, die Kultur seiner Stadt sei allen anderen überlegen – die sagenumwobenen Reichsgebäude, die Brücken, Parks und Gärten, die jahrhundertealten Restaurants und Teehäuser, die Theater und Opernhäuser, die Zirkusse und Akrobaten, die Dichter und Schriftsteller.
    Peking war bereits eine elegante Reichshauptstadt, als London und Paris kaum mehr als von Ungeziefer verseuchte Sumpflöcher waren. Von allen europäischen Hauptstädten konnte nur Rom mit Pekings Geschichte, Eleganz und Macht mithalten.
    Die Pekinger hatten bereits alles gesehen. Viele Bürger der Stadt hatten den Einmarsch der Franzosen, der Deutschen, der Nationalisten, der Japaner und nun der Kommunisten erlebt. Die Stadt hatte sich angepasst, weiterentwickelt und überlebt.
    Viele Beobachter waren überrascht, dass Mao sich trotz ihrer engen Verbindung zum Kaiserreich für diese Stadt als Hauptstadt entschieden hatte. Nikolai aber glaubte, er habe sich genau deshalb dafür entschieden. Kein Herrscher konnte ohne jene Insignien die Macht in China beanspruchen – ohne im Besitz des Himmelstempels zu sein, konnte kein Kaiser das Mandat des Himmels beanspruchen, und Nikolai wusste, dass Mao sich trotz seiner kommunistischen Propaganda insgeheim als neuen Kaiser betrachtete. Tatsächlich hatte er sich recht schnell in der Verbotenen Stadt eingeschlossen und ließ sich nur selten außerhalb blicken.
    Die Menschen in Peking wussten das. Sie hatten viele Kaiser, Herrscher und den Aufstieg und Fall zahlreicher Dynastien erlebt und wussten, dass die Herrschenden sich selbst Denkmäler setzten, die anschließend zerfielen, und auch, dass die kommunistische Dynastie nur eine in einer langen Reihe von vielen war. Ihre Zeit würde kommen und gehen, aber die Stadt würde bleiben.
    Doch in welcher Form, fragte sich Nikolai, als er zum Haupteingang hinaustrat, die Straße entlangging und rechts in die Chang’an einbog. Mao hatte Pläne und angekündigt, er wolle aus »der Stadt des Konsums« eine »Stadt der Pro duktion« machen. Ganze Straßenzüge mit alten Häusern waren

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