Saubere Verhältnisse
Sexualität, Gewalt und Wahnsinn hin- und hertransportiert wurde. Sie wachte immer wieder kurz auf, verwirrt und mit einem Gefühl von körperlicher Schwäche, um dann wieder erschöpft in Schlaf zu sinken.
Ganz allmählich änderten sich die Träume, sie wurden ruhiger und harmonischer, und als sie schließlich aufwachte – richtig aufwachte, ausgeruht und ruhig –, war sie von einer tiefen Gewißheit erfüllt.
Die große Traummaschine war endlich stehengeblieben und hatte mit einem letzten Zittern das Ergebnis ihrer gewaltsamen Arbeit ausgespuckt. Wie ein kleiner, von den Wellen glattgeschliffener Stein lag es nun bei ihr im Doppelbett, während der erste Tag des Jahres sein milchweißes, mattes Licht im Zimmer verbreitete.
Sie mußte lächeln. So einfach. So offensichtlich, wenn man es wußte. Ja, natürlich. Natürlich war es so. Sie liebte ihn. Sie liebte Bernhard Ekberg. Seine braunen, bettelnden Augen. Seine Schuldgefühle, seine Hilflosigkeit. Seine tastenden, kurzen Finger. Sein weiches Gesicht mit den Grübchen in den Wangen, der Oberlippe und dem Kinn. Seine sinnlich runden Lippen, die so leicht ihren Handrücken berührt hatten wie die Schnauze eines vorsichtigen Hundes.
Welche gewaltige Veränderung muß in ihrem Bewußtsein vor sich gegangen sein, daß diese Erkenntnis ans Tageslicht kommen durfte! Wieviel Widerstand muß es gegeben haben.
Aber jetzt war sie da.
Sie hatte noch nicht entschieden, was sie mit ihrer Erkenntnis machen würde. Vielleicht würde sie sie nur in sich tragen, wie einen wunderbaren, verborgenen Schatz und weder Bernhard noch sonst jemanden etwas wissen lassen. Vielleicht.
Als sie aufgestanden war und aus dem Fenster schaute, erwartete sie die nächste Überraschung. Es hatte geschneit. Der Winter war bisher mild und schneefrei gewesen, jetzt lag eine dicke Watteschicht auf der Straße und den Hausdächern. Und es fielen immer noch Flocken.
Yvonne duschte und pusselte dann im Bademantel im Haus herum. Sie warf verblühte Hyazinthen und leere Pralinenschachteln weg, sie saugte Nadeln unter dem Weihnachtsbaum auf. Simon war mit der Familie eines Freundes in Värmland und sollte erst am Abend zurückkommen. Jörgen kam am Nachmittag. Er murmelte etwas von einem Film, den er sehen wollte, und machte den Fernseher im Schlafzimmer an, schlief aber sofort auf dem Bett ein und schnarchte laut.
Um zwanzig nach acht holte Yvonne Simon am Bahnhof ab. Und obwohl er so lange Zug gefahren war und in Värmland schon reichlich Schnee genossen hatte, war er ausgelassen glücklich über den Schnee, der immer noch fiel, und wollte sofort im Park Schlitten fahren.
Yvonne ging mit ihm, sie fuhren zusammen in der rosagrauen Dunkelheit, die von der Nacht, dem Schnee und Lichtern der Stadt gebildet wurde. Die weiße Decke umschloß alles, so weich, so sauber, so vollkommen neu.
Als sie unter den vom Schnee schweren Zweigen eines Baums vom Schlitten stiegen, schaute Simon zu ihr auf und sagte mit einem Staunen in der Stimme:
»Du lachst ja, Mama. Du solltest öfter Schlitten fahren.«
20
Obwohl Yvonne noch nicht entschieden hatte, wie sie mit ihrer Erkenntnis umgehen wollte, war ihre Sehnsucht während der langen Weihnachtsferien immer stärker geworden, und als sie am ersten Montag nach Dreikönig Bernhard Ekbergs Haus betrat, war sie tief enttäuscht, daß er nicht zu Hause war.
Nachdem er im Herbst krank gewesen war, hatte er seine Arbeit in der Bank wiederaufgenommen, aber er war immer noch halbtags krank geschrieben, und Yvonne konnte sich vorstellen, daß er an seinem Arbeitsplatz nicht sehr viel zustande brachte. Er kam und ging, wie er wollte, und man rechnete eigentlich nicht mehr mit ihm. Yvonne hatte schon öfter solche Menschen erlebt. Sie behielten zwar ihren Arbeitsplatz, sie durften an ihren Schreibtischen sitzen und Papiere hin und her bewegen und konnten so für Familie und Freunde den Schein wahren. Aber sie zählten schon lange nicht mehr.
Es schien wichtig für ihn zu sein, hin und wieder in die Bank zu gehen, und sich, wenn er zu Hause war, an den Papierstapeln mit dem Logo der Bank festzuhalten, wie an einer Rettungsboje, die von einem Schiff ausgeworfen worden war, das dann wieder abdrehte.
Yvonne ging durch die Räume, sie schienen ungewöhnlich dunkel und verlassen. Sie wußte, daß Bernhard an Weihnachten seine Frau im Gefängnis besucht hatte, aber ansonsten war er zu Hause gewesen. Trotzdem sah es so aus, als wäre niemand in den Zimmern gewesen, seit sie sie
Weitere Kostenlose Bücher